Städel: »Das Geheimnis der Materie« (Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff)

Es klingt nach »Der Widerspenstigen Zähmung«, wenn man im Städel vernimmt, dass die Brücke-Künstler Ernst-Ludwig Kirchner (1880-1938), Erich Heckel (1883-1970) und Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) ihre Kreativität und Kunstfertigkeit ausgerechnet im Umgang mit dem schwierigen, unebenen Material Holz zu beweisen versuchten. »Das Geheimnis der Materie« heißt die Ausstellung denn auch, in deren Mittelpunkt das Making-of von 98 Holzschnitten, 15 Holzskulpturen und drei Holzstöcken steht. Das älteste Exponat ist von 1904, die jüngsten entstanden lange nach dem Ende der von 1905–1913 bestehenden Gruppe.
Für das zwischen 25 und 30 Jahre alte Mitgründer-Trio aber war das kaum noch verwendete Holz die ideale Antwort auf den durch beliebige Formbarkeit geprägten Geist des technischen Fortschritts, wie er sich in Werken aus Metall oder auch Kunststoff offenbart. Im ästhetischen Dialog mit dem Holz dagegen werden die Künstler mit den unterschiedlichsten Baumarten, mit Maserungen, mit zufällig vorgefunden Strukturen wie Jahresringen bis hin zu Astlöchern konfrontiert, die allesamt ihr Recht am Werk einfordern – was den einleitenden Gedanken an eine Zähmung gleichsam relativiert. Den Werken von Kirchner & Co geben diese keineswegs versteckten, sondern gestalterisch bewusst ausgestellten Linien und Muster ebenso einen spezifischen Ausdruck, wie die ihre Entstehungsprozesse mit Stech- und Schälwerkzeugen nicht verleugnenden kantigen Skulpturen der Künstler.
Die Städelausstellung verfolgt im ersten von fünf Räumen den künstlerischen Zugriff der Dresdener Künstlergruppe auf das Material und widmet drei weitere jeweils einem Künstler, sowie ein separiertes Kabinett Kirchners bedeutendem Zyklus »Peter Schlemihl«. Dabei beginnt die Schau mit dem dreifachen Paukenschlag von Selbstbildnissen aus den Jahren nach 1918, die uns mit Gesichtern konfrontiert, in die sich die traumatischen Kriegserfahrungen tief eingegraben haben. Kirchner sieht sich in »Kopf eines Kranken« als fast entmenschlichte Person. Häckels farbiges »Männerbildnis« (1919) zeigt ihn mit gefalteten Händen ratlos, während Schmidt-Rottluffs dichotomisches »Selbstbildnis« von 1919 an der afrikanischen Skulpturenkunst ausgerichtet ist. Und das ist grad mal der Anfang einer zum Wieder- und Wiederkommen einladenden Schau, die dank des nur wenig entfernt hängenden provokativen Kirchner-Gemäldes »Stehender Akt mit Hut« (1908) großartige Vergleiche mit dem 1911 gefertigten Holzstich »Akt mit schwarzen Hut« (1911/12) und der 1921 entstandenen Skulptur »Traurige Frau« eröffnet, für welche nicht mehr seine Muse Dodo, sondern die Tänzerin und spätere Frau Erna Schilling stand.
Die Ausnahmestellung des Städel im Blick auf den deutschen Expressionismus basiert zum einen auf der Expertise des frühen Städeldirektors Georg Swarensky, der schon von 1913 an Kunst des Expressionismus im großen Stil erwarb. Zum anderen aber auf dem Wohlwollen des 1940 verstorbenen Kunstsammlers und Cassella-Direktors Carl Hagemann und seiner Erben, die die nach dem Nazibildersturm 1937 quasi auf null reduzierten Bestände durch Schenkungen nach dem Krieg wieder aufstockten. Weil Swarensky-Nachfolger Ernst Holzinger maßgeblich zur Rettung von Hagemanns Sammlung beigetragen habe, dankten das die Nachkommen bis Mitte der 60er immer wieder mit großzügigen Gaben. Dazu gehörte die gesamte expressionistische Druckgrafik mit rund 1.000 Blättern, von denen nicht wenige nun die aktuelle Ausstellung mitbestreiten. Ohnehin stammen von den 113 Werken zirka 90 aus dem eigenen Hause. Da die lichtempfindlichen Grafiken aus konservatorischen Gründen schon bald wieder für längere Zeit ins Archiv müssen, lohnt sich das Kommen doppelt.

Lorenz Gatt (Foto: Heckel »Pferde«, 1912, © Staedel)
Bis 13. Oktober: Di.–So. 10–18 Uhr; Do., Fr. bis 21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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