Ernst Dronke: Polizei-Geschichten

True Crime, anno 1846: »In dem Kriminalgefängniß zu Berlin erhängte sich vor einiger Zeit ein Gefangener, der nach den Aussagen des Arztes und des Gefängniß-Inspektors an Schwermuth gelitten hatte. Diese Geschichte dieses Unglücklichen, welche wir dem Leser hier erzählen, ist ein vollkommen wahres Ereigniß …« So beginnt die Geschichte »Armuth und Verbrechen«, die Ernst Dronke als erste in seinen »Polizei-Geschichten« aus dem Jahre 1846 erzählt. Wiederaufgelegt jetzt bei Walde + Graf, die alte Orthographie vorsichtig beibehaltend, ist dieser kleine Band ein wichtiger Eckstein in jenem Genre, das wir »True Crime« nennen.
Ernst Andreas Dominicus Dronke (1822–1891) aus Koblenz war Schriftsteller, Publizist, Vormärzliterat, Frühsozialist, wurde dann Kaufmann. Er promoviert als Journalist, arbeitete eine Zeitlang mit Friedrich Engels und Karl Marx. Seiner kommunistischen Tendenzen wegen wurde er aus Berlin ausgewiesen, auch aus Leipzig. Er emigrierte in die Schweiz, dann nach England. Sein Buch »Berlin« von 1846 war das Röntgenbild einer Gesellschaft während der frühen Industrialisierung, gerichtet auch gegen die damals grassierende Mode der Geheimnis-Romane, in denen die »Nachtseiten der Gesellschaft« nur als pittoreske Feuilleton-Unterhaltung dienten. Das Buch brachte ihm zwei Jahre Festungshaft wegen Majestätsbeleidigung, Beleidigung des Berliner Polizeipräsidenten und Kritik an den Landesgesetzen ein.
Seine auf wahren Begebenheiten beruhenden »Polizei-Geschichten«, die er selbst Sozial-Novellen nannte, sind eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme. Sie zeigen, dass jeder Gesetzesverstoß und jedes Verbrechen Hintergründe hat. Und sie zeigen spannungsreich die Folgen staatlicher Willkür. »Diese Blätter«, schreibt er in der Vorrede zur Erzählsammlung »Aus dem Volk«, »haben eine ›Tendenz‹ zu Grunde: die der Wahrheit. Aber ich habe diese Novellen nicht geschrieben, um ›Novellen zu schreiben‹: ich geize nicht nach der Ehre ›Belletrist‹ zu sein.« Seinen Stoff habe er »nur deshalb in das Gewand der Novelle gekleidet, weil in dieser Form der Nachzeichnung des wirklichen Lebens die Wahrheit jener Verhältnisse am deutlichsten und sprechendsten vor die Augen tritt und dadurch weiter als abstrakte Abhandlungen wirkt«.
Friedrich Engels schrieb 1847: »Herr Ernst Dronke hat sich durch die Erfindung einer neuen Dichtungsart dauernde Verdienste um die deutsche Literatur erworben. (…) In jedem Paragraphen steckt ein Roman, in jedem Reglement eine Tragödie. Herr Dronke, der als Berliner Literat selbst gewaltige Kämpfe mit dem Polizeipräsidio bestanden, konnte hier aus eigner Erfahrung sprechen.«

Alf Mayer
Ernst Dronke: Polizei-Geschichten. Sozial-Novellen. Walde + Graf, Berlin 2018, 192 Seiten, 18 Euro.

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