»Born in Evin« von Maryam Zaree

Wenn Kinder ihre Mutter nach dem Hergang ihrer Geburt fragen, erhalten sie normalerweise die ewig gleiche Antwort: sie habe große Schmerzen gehabt, die Geburt habe sich hingezogen, und als sie schließlich den jetzt fragenden Nachwuchs in ihren Armen gehalten habe, sei sie von einem großen Glücksgefühl ergriffen worden. Doch bei der Geburt der Schauspielerin Maryam Zaree ist nichts normal, denn sie ist in Evin, einem berüchtigten iranischen Gefängnis, zur Welt gekommen.

Die Umstände ihrer Geburt sind in der Familie ein Tabu, oder anders gesagt: für die Mutter wie ein traumatisches Kriegserlebnis, über das zu sprechen sie nicht in der Lage ist. Die Tochter findet also keine Antwort auf ihre immanent politische Frage, wagt sie auch kaum noch zu stellen.
Nun hat sie sich als Schauspielerin in viele Figuren hineinversetzt, ist für ihre Rolle in der TV-Serie »4 Blocks« mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden, hat in »Tatort«-Folgen mitgespielt und unter Christian Petzold in »Transit« und in dem »Polizeiruf 110: Tatorte«. Und das hat wohl ihren Wunsch, genaueres über die Umstände ihrer Geburt zu erfahren, entscheidend verstärkt.
Die Schauspielerin und Theaterautorin (»Kluge Gefühle«) macht also einen Film über ihre Identitätssuche. In dem erinnert sie uns erst einmal an die jüngere iranische Geschichte. An das jede Opposition unterdrückende Schah-Regime, an die Tage de Umsturzes mit dem großen Freiheitsversprechen und schließlich an die Errichtung der Islamischen Republik, in der Zehntausende Oppositioneller wiederum im Gefängnis landeten, gefoltert und hingerichtet wurden. Zu den im Teheraner Evin-Gefängnis Überlebenden gehörten Maryams Eltern: Mutter Nargess und Vater Kasra. Nargess gelingt es, nach der Freilassung mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland zu entkommen.
Wie gesagt, die Mutter schweigt. Sie ist mittlerweile als Kommunalpolitikerin in Frankfurt aktiv. Und obwohl sie als ausgebildete Psychologin fähig sein sollte, sich in die Lage ihrer Tochter hineinzuversetzen, schweigt sie.
Also unternimmt Marya den Versuch, etwas über die Lebensumstände im Evin-Gefängnis von ihrem Vater zu erfahren, der von seiner Frau getrennt war.
Doch mit wie viel Mühe ist das bei den Leidensgenossinnen der Mutter verbunden! Nur zögerlich erzählen einige am Rand eines Kongress iranischer Frauen, wo Maryam die Gelegenheit ergreift und um Informationen bittet. Sie erfährt, dass die Schwangeren ihre Niederkunft vor den Wachen verheimlichen mussten. Ihr wird berichtet, einehabe sich die Zunge abgebissen, als sie ihr Schreien unterdrückte.
Mit »Born in Evin« ist ein Dokument entstanden, das von der Auswirkung politischer Unterdrückung bis in die nächste Generation der Betroffenen handelt. Ein sehr persönlicher Film und Therapieversuch, den man wegen seiner Sprunghaftigkeit nicht kritisieren sollte. Schließlich werden ja auch veröffentlichte Tagebücher nicht nach literarischen Gesichtspunkten beurteilt.

Claus Wecker
BORN IN EVIN
von Maryam Zaree, D 2019, 98 Min.
Dokumentarfilm
Start: 17.10.2019

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