Hanna Hartmanns Flughafen-Krimi »Totengräbers Tochter«

Beklemmend real

»Als modernes, serviceorientiertes Unternehmen im weltweiten Drogenhandel bieten wir Ihnen den perfekten Job zur kreativen Erweiterung Ihres Horizonts. Wenn Sie verschwiegen sind, Ihnen der Umgang mit Gefahrgütern nicht die geringsten Kopfschmerzen bereitet, Sie das zeitkritische Verladen sensibler Waren in einer hochkomplexen Gepäckanlage innovativ handhaben und Ihnen die Paragrafen des deutschen Luftsicherheitsgesetzes keine schlaflosen Nächte bereiten, dann sind Sie unser Mann! Oder unsere Frau!« Diesen Anzeigentext für eine Supervisionstätigkeit im internationalen Drogenhandel formuliert einer der wohlerzogenen Bösewichte zum Spaß in Hanna Hartmanns Flughafen-Krimi »Totengräbers Tochter«, als eine der Hauptpersonen aussteigen will.
Die Handlung spielt zum größten Teil an einem heißen Sommernachmittag und -abend. An einem Montag. Die Montagsdemonstration der Fluglärmgegner ist ein wichtiges Handlungselement. Am Ende wird die Kommissarin Edith Tannhäuser von der Frankfurter Mordkommission angeschossen im Krankenhaus liegen. Wie immer die Behörden das dann darstellen werden, wir Leser werden wissen, dass die im Buch geschilderten Zustände keineswegs beendet und bereinigt sind. Wir werden wissen, dass alles mehr oder weniger so weiterlaufen wird. Einigen Toten zum Trotz.
Es ist kein Heile-Welt-Bild, das Hanna Hartmann uns in ihrem nun schon dritten Frankfurt-Krimi schildert. Der Flughafen Frankfurt hat nicht nur in Sachen Passagierzahlen Rekordzahlen aufzuweisen, er ist nach wie vor ein Umschlagplatz für Drogentransporte. Und das, obwohl man auf mehr als 9.000 Beschäftigte bei Frasec, Luftsicherheit, Zoll, Landes- und Bundespolizei kommt, wenn man alle mit Sicherheit Beschäftigten zusammenzählt. Trotz der täglich rund 30.000 Einzelkontrollen rutschen Drogen durch. Trotzdem pflanzt die Autorin einen Toten in die Abflughalle – und das mitten in die Montags-Demo der Fluglärmgegner.
Es ist ein starkes Kapitel, mit dem »Totengräbers Tochter« beginnt. Wie eine Endlosschleife hat Jack, der gerade im Stadionbad liegt, die Situation bei einem Rückflug aus Bogotá im Kopf. Feige und verantwortungslos hatte er seine Freundin Rena wie lästigen Ballast damals einer überrumpelten Stewardess in der vom kalten Neonlicht beleuchteten Bordküche überlassen – mit den Worten »Entschuldigung, der Frau geht’s schlecht«. Dabei hatte er gewusst, was los war. Er selbst hatte Rena weisgemacht, dass Drogenschmuggel im Körper ungefährlich sei. Mitten in der Nacht hatte sie sich plötzlich in heftigen Krämpfen an ihn gepresst, er hätte dem Bordpersonal die richtigen Hinweise geben können. Aber er tat so, als würde er die junge Frau nicht kennen, deren Schreie wie von einem todgeweihten Tier geklungen haben.
Im Drogentransport ist er längst aufgestiegen, ist für ein Stück Vorfeld auf dem Frankfurter Flughafen zuständig, heute Abend aber will er endgültig aussteigen. Immer noch gibt es Menschen, die mit verschluckten Plastikbeuteln voller Rauchgift an Bord transkontinentaler Flüge gehen, Jacks Firma aber operiert im größeren Stil, bewegt größere Mengen. Das Kürzel FCL spielt dabei eine Rolle. First-Class-Luggage.
An dieser Stelle muss gesagt werden, dass Hanna Hartmann selbst zwölf Jahre Stewardess gewesen ist. Langstrecke, Nord- und Süd-amerika. Außerdem hat eine Vertrauensperson bei der Bundespolizei das Manuskript gegengelesen. Wenn man das weiß, wird noch beklemmender, was sie uns in ihrem Buch erklärt.
Ebenfalls aus dem wahren Leben kommt Handlungsstrang Nummer zwei, die Diffamierungswelt der Fluglärmgegner. Es ist sehr ungemütlich, was hier an Verhaltensweisen und Kampfmethoden geschildert wird, wie in Online-Foren mit Fake-News operiert und verleumdet wird. Weit entfernt von der Wirklichkeit ist es nicht – hat die Autorin mir in einem Hintergrundgespräch ausdrücklich bekräftigt. Was im Roman im »Forum gegen Fluglärm« unter Meinungsfreiheit kursiert, liegt in manchen Teilen sehr nah am Tatbestand der üblen Nachrede. Die Pseudonyme im Fluglärmforum des Romans sind mehr als schräg. Eine Frau nennt sich dort Alexandra Kollontai, nach einer russischen Revolutionärin, die 1927 als Einzige die von Stalin initiierte Säuberung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion überlebt hat. Es gibt eine Carolin Link, einen Käpt’n Kirk, es gibt Leute, die vor keiner Diffamierung zurückschrecken. In der Mordermittlung spielt das alles eine Rolle, auch ein sensationslüsterner, ehrgeiziger Journalist hat »selbst erfahren, wie schnell man mit Fake-News Menschen platt machen kann«. Fünf Jahre hat sie für das Buch gebraucht. »Da steckt Leben drin«, sagt sie.
Nach den Hochleistungsrechenzentren in Frankfurt und dem Klärwerk Niederrad (in ihrem Erstling »Darling«) und dem Glauburg-Bunker im Frankfurter Nordend (in »Tod im Licht der Luminale«) nun also der Frankfurter Flughafen als Tatort. Eine gewichtige Rolle spielt darin auch die GFA. Kennen Sie nicht? »Wir am Frankfurter Flughafen lieben Wörter aus drei Buchstaben. THX, VHS und FSK, RAF, LSD und FKK … kennen Sie die Fantastischen Vier?«, heißt es einmal im Roman. Die GFA, das ist die vollautomatische Gepäckförderanlage, »eine Anlage, die seit über 40 Jahren für deutsche Präzision und Logistik steht. Mit einer Fehlerrate von 1,6 Prozent. Was bei einem Umschlag von über 27 Millionen Gepäckstücken im Jahr und bis zu 20.000 Koffern pro Stunde hocheffizient ist«.
81 Kilometer ist sie lang, jede der blauen Gepäckwannen hat einen eigenen Strichcode, der mit der Zielinformation des Koffers verknüpft ist. Ob der Koffer auf dem richtigen Weg ist, wird von Scannern an jeder Weiche überprüft. Auch wenn sich, wie am Sommerabend der Romanhandlung, eines Gewitters wegen die Position von Dutzenden Flugzeugen ändert, finden die Koffer trotzdem den richtigen Weg durch die GFA. Wenn die Daten nicht mehr übereinstimmen, beginnt ein rotes Lämpchen zu leuchten, und dann kümmert sich ein Notdienst darum.
Jetzt muss dieser gut recherchierte, dicht geschriebene Frankfurt-Krimi nur noch bei genügen Leserinnen und Lesern ankommen.

Alf Mayer
Hanna Hartmann: Totengräbers Tochter. Societäts Verlag, Frankfurt 2017. 202 Seiten, 12,80 Euro.

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