Gerhard Richters »Frühe Bilder« im Museum Wiesbaden

»Historienbilder« wurden Gerhard Richters Arbeiten genannt, Bilder, die eine Epoche in helles Licht stellen. Und tatsächlich widmete sich der 1932 in Dresden geborene, in Köln lebende Künstler immer wieder den großen Themen der deutschen Geschichte. Die nationalsozialistische Vergangenheit ist eines der immer wiederkehrenden Sujets – auch der Terrorismus der RAF, der in Richters Bildwelt als großer Zyklus auftaucht.
Jene 1988 entstandene Werkgruppe »18. Oktober 1977« markiert das Ende der Arbeit Richters nach fotografischen Vorlagen. Die Ausstellung »Gerhard Richter – Frühe Bilder« im Museum Wiesbaden – wo bereits im Jahr 1966 eine Gruppenausstellung mit Werken Richters stattgefunden hat – rückt jenes frühe Schaffen in den Fokus: Gemälde, nach Fotos entstanden, die unter anderem auch Wünsche und Sehnsüchte der frühen Bundesrepublik zum Ausdruck brachten: Autos malte Richter, Bilder von Urlaubsreisen, Landschaften, Wälder, aber auch ganz Alltägliches wie einen Wäschetrockner oder einen Kronleuchter.
Wo fand Richter seine Vorlagen? Er fotografierte sie selbst, fand sie aber auch in den Illustrierten der Zeit: in der »Quick« oder im »Stern«. Oft waren es auch Familienfotos, die er als Sujet seiner Malerei nutzte. Es war Richters erklärtes Ziel, seine Bilder an die fotografischen Vorlagen anzugleichen. Deshalb verwischte er die Farbe kurz vor dem Trocknen – auch, um »das zu viel an unwichtigen Informationen« auszulöschen.
Im Nicht-mehr-Erkennbaren, in der rätselhaften Stille liegt die Tiefe vieler dieser Bilder – das zeigt nun auch die Ausstellung im Museum Wiesbaden. Richter, der an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem Informel-Maler K.O. Götz studiert hatte, sagte einmal, dass man in einem unscharfen Bild mehr sehen könne, als in einem scharfen. Die Idee, seine Bilder nach Fotografien zu malen, nannte er damals ganz bescheiden seine »neue Macke«. Heute ist Gerhard Richter der am teuersten gehandelte zeitgenössische Maler – weltweit.
Was man in Wiesbaden auch erkennen kann, wo sich sechs frühe Arbeiten Gerhard Richters in der Sammlung befinden, darunter eine Ikone wie das Porträt der britischen Königin Elisabeth: In Richters Werk gibt es keine klare Trennung zwischen Realismus und Abstraktion. Bilder wie »Vorhang IV« von 1965, »Portrait Dieter Kreutz« von 1971, »Durchgang« und »Grauschlieren«, beide von 1968, sind dafür gute Beispiele. Richters Wolkenbilder oder eine Mondlandschaft, ebenfalls 1968 entstanden, sind weitere Belege für diese von ihm gewünschte Uneindeutigkeit, wie die Ausstellungsmacher in Wiesbaden betonen. Realismus und Abstraktion halten sich auf irritierende Weise die Waage. Beispielhaft sind hier die Vorhangbilder, die mehr verhüllen, als sie verraten. Was sich dahinter verbirgt, erfahren wir nicht.
Die zuvor im Kunstmuseum Bonn und im S.M.A.K. in Gent gezeigte Ausstellung erzählt viel über die Skepsis, mit der Richter dem Begriff der »Wirklichkeit« begegnet. Das zeigen seine frühen Türen, Fenster und Vorhänge. Richter reanimierte die gegenständliche Malerei – mit den Mitteln der Abstraktion, schafft Zwischenbilder wie das »Waldstück« von 1965, das sich nur auf den ersten Blick als reine Farbfläche ausgibt.
»Richter hat den Zweifel ins Bild gemalt«, so hat Stephan Berg vom Kunstmuseum Bonn dieses frühe Werk resümiert, dessen Grautöne bis heute faszinieren. Im Zweifel für den Zweifel will man anfügen – und kann diese Ausstellung als schönen Beleg für die Kunst nehmen, die besonders interessant ist, wenn sie nicht aufklärt, sondern, im Gegenteil, zu verstehen gibt, dass die Welt unverständlich bleiben muss.

Marc Peschke, Foto: Gerhard Richter : Terese Andeszka, 1964, Museum Wiesbaden, © Gerhard Richter 2018 (06032018)
Bis 17. Juni: Di.–So. 10–17 Uhr; Di., Do. bis 20 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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