Charly Wellers dritter Krimi mit Kommissar Worschtfett

Ballefussi interrupti

Den Dreh hat er raus. So kann das eine formidable Serie werden. Charly Weller, eigentlich ein Film- und Fernsehregisseur, hat bei »Die Kommissarin« einst Til Schweiger als Assistenten von Hannelore Elsner ins Bild gesetzt, am »Fall für Zwei« gearbeitet, als Kleines Fernsehspiel »Wetzlar ist nicht Washington« gemacht und für den Kurzfilm »The Only Forgotten Take of Casablanca« den Jury-Preis von Cannes errungen. Heute ist er Chef von »Mittelhessen-TV« und hat einen Lauf mit seinem Kommissar Roman Worschtfett, pardon Worstedt.
Worschtfett, das dürfen ihn nur die Einheimischen nennen, vorzugsweise jene Gießener, die »Manisch« sprechen. Hierbei handelt es sich um die Überreste einer mittelalterlichen Räubersprache jenisch-rotwelschen Ursprungs, also um ein Verständigungsidiom unter Bettlern, fahrendem Volk und kriminellen Subkulturen. Irgendwann auch von Schaustellern übernommen, erkennt man das Manische daran, dass der Ton von einer gewissen nasalen Atemnot unterlegt ist und die »Os« lang gezogen werden.
Erst einmal aber gibt es ein »Iiiih«. Schon im Prolog wird vorm »Katzenkönig« gewarnt, bei dessen Anblick man nur kehrtmachen und die Kurve kratzen könne. Es warnt ein Untersuchungshäftling aus der Justizanstalt Josefstadt, Wien. Er sei immer ein anständiger Mensch gewesen, ehe er in den Bann dieses »Katzenkönigs« geraten sei. Natürlich ist das ein (legitimer) erzählerischer Kniff, uns für die Lektüre zu interessieren. Charly Weller setzt da schnell seine Widerhaken.
Das zweite »Iihh« fällt beim Anblick einer in einem herrenlosen Koffer transportierten zerstückelten Leiche. Ein Torso, genauer. Genug Fleisch und Schulter aber daran, um ein mit Knasttinte aufgetragenes Tattoo erkennen zu können. Dieser Fund am Gießener Güterbahnhof beschert Kommissar Worschtfett ein »Ballefussi interrupti«, worunter man auf Manisch einen gestörten Friseurbesuch verstehen muss. Immer an den Klippen von Verstehen, Erfahren, unnützem und/oder schrägem Wissen entlang und aus unterschiedlichen Perspektiven – Zeugenaussagen sozusagen – führt der nun schon dritte Fall bald nach Wien, was das bisher (in »Eulenkopf« und »Finsterloh«) erkundete Mittelhessen noch an bizarren Elementen zu übertreffen vermag. Man könnte auch sagen, um das Niveau der ersten beiden Krimis zu halten, muss nun Wien als Spielplatz her. Mal sehen, wohin es Kommissar Worschtfett, der im Buch einen Kriminellen eher »an einen in die Jahre gekommenen Rapper erinnert«, in Zukunft noch so verschlagen wird.
Charly Weller hat erkennbar Spaß, allerlei Seltsames aufzutischen, starken Tobak inbegriffen. Wien ist da eine Fundgrube. Das »Negerdörfl« zum Beispiel, eine ehemalige Armensiedlung mit Notstandsbauten aus dem Jahr 1911 im 16. Bezirk. »Mal wieder neger« sein oder der Begriff »Negerant« werden ebenso erklärt wie die Herkunft der »Fotzn«, bei der einem auch mal das Gesicht glühen kann.
Nebenbei lernen wir, welche filmischen Fehler es im »Dritten Mann« zu finden gibt, oben drauf allerlei weitere Hintergrundinformationen. Vor allem aber knistert ein Feuerwerk an Details und Einfällen, bizarren Schicksalen und Verhaltensweisen. Groteske trifft IS in diesem Roman, unterm Strich gesagt. Da gibt es schräge Sexspiele der Provinz, eine Neureichen-Villa mit einem Eingangsportal kaum »kleiner als der Wetzlarer Dom«, allerlei paradoxe Interventionen und Unkonventionelles. In Wien geht es zum Heurigen und zu einem Wienerliedsänger. Was man über die Gebräche in Ottakring oder anderswo erfährt, steht gewiss nicht in den normalen Reiseführern. Charly Weller hat mit Lust und Neugier recherchiert, die Mitbringsel sind bemerkenswert, etwa der Hintergrund zur Schaustellerei und zu den Fahrgeschäften im Wiener Prater.
Die Ermittlungen von Kommissar Roman Worstedt, endlicher Firseurbesuch inklusive, dienen natürlich letztlich zudem dazu, seine Kollegin Regina Maritz beim Vienna City Marathon zu beschützen. Gut, dass das bewährte Personal wohl auch weiterhin zusammen bleiben wird.
Die Kriminalliteratur wird im »Katzenkönig« nicht neu erfunden, aber auf eine handfeste und bodenständige Art aufgemischt. Charly Weller ist ein Sinnenmensch, das teilt sich mit. Und wie die Leiche aus Wien nach Gießen gelangt ist, das hat echten Pfiff. Ich musste an den chinesischen Noir »Feuerwerk am helllichten Tag« von Yinan Diao denken. Ein Glossar manischer und österreichischer Begriffe gibt es im Anhang.

Alf Mayer
Charly Weller: Katzenkönig.
Hillesheim: KBW Verlag, 2016.
280 Seiten. 10,95 Euro

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