Willy Praml Theater: »Walpurgisnacht« als Politrevue

»Eine deutsche Höllenfahrt« verheißt das Theater Willy Praml. Die Bühne spürt in ihrer revuehaften Inszenierung »Walpurgisnacht« den Geistern der Vergangenheit nach und verknüpft sie assoziativ mit Geschichten von Alexander Kluge (»30. April 1945«), Texten von Heiner Müller und Friedrich Nietzsche sowie aus verworfenen Vorarbeiten, den Paralipomena des Meisters. Dass das Datum der Hexennacht auch das des Selbstmords Adolf Hitlers und des Hissens des Stars-&-Stripes-Banners auf dem Brocken ist, wird als willkommene Koinzidenz weidlich genutzt.
Zu ihrem Ausgangspunkt machen Regisseur Willy Praml und Michael Weber (Textfassung, Bühne) den ins Harz-Dorf Elend verlegten »Auerbachs Keller«, auf dessen Bänken wir unter anderen in schwarzer Bergmanntracht die Mitglieder des Heine-Chores antreffen. Noch vor dem Chor aber rückt im Abseits der Bühne ein Soldat mit Hakenkreuzbinde (Bahar al-Shaar) mit einem Prolog über den Verlust des Geliebten ins Licht: »So verlor ich den Krieg, was schert mich mein Land«. Dann aber stimmt die 2014 zum Heine-Projekt Pramls entstandene Gesangsformation das schöne »In einem kühlen Grunde« an. Das Lied wird uns im Lauf der nur etwas mehr als zwei kommenden Stunden in immer neuen, dem Geschehen angepassten Versionen, denen selbst das Horst-Wessel-Lied gehorcht, vorgetragen. So, wie der betörende Chor, gehört auch das virtuose und präzise Schlagwerk seiner akustischen Antipoden, der dreiköpfigen Percussion-Gruppe (Leitung Jakob Rullhusen), die spektakulär von der Hochbrücke der Halle herab ihre Instrumente bearbeitet, zu den großen Erlebnissen.
Im dritten Schritt treffen Faust (Michael Weber, im heller Flaneur-Tuchhose und roten Schuhen) und Mephistoles (Max Rohland, operettenhaft mit kirschrotem Hut und Jacke zur Lederhose) als Wandertouristen (Kostüme: Paula Kern) ein, um dort mit dumpf-deutscher Lebensart Bekanntschaft zu schließen. Auf dem Bußgang, den der Teufel seinem an Gretchen sündig gewordenen Begleiter auferlegt hat, bereitet Reinhard Behling eine abenteuerliche Vision von Einar Schleefs Klavierlehrerin auf, die in der Nacht zum 1. Mai 1945 tosende Lichter auf dem Brocken wahrnahm. Und Jakob Gail, Birgit Heuser und Lisa Zanaboni konfrontieren uns gruselig detailliert mit einem Papierhändler, der nach Hitlers Tod Frau und Tochter erschießt – sich selbst aber dann doch lieber nicht.
Zum visuellen Höhepunkt der vielen Hinzu-Taten – ein Hitler weniger vielleicht? – wird das 20-minütige Dilettantentheater. Um einen Solitärstein im Naxoswallhallischen Off zeigt Praml die üppige Krippenspiel-Groteske »Germania Tod in Berlin« (H. Müller), in der der schwangere Joseph Goebbels dem Führer einen Contergan-Wolf gebärt, als japanisches Theater. Der Schoß ist fruchtbar noch …
Dann aber ist Party angesagt und Orgie und Hexenball mit 17 schirm- wie besenbewehrten bewehrten Frauen und tollen Bildern und Tanzchoreografien. Und mit Goethe-Schweinereien, die noch immer sichtbar Freude bereiten. Bis das Fest ernüchternd in Nietzsches »Umwertung der Werte« mündet und mitten in einer weiteren Chorstrophe abbricht. Unter verdientem Applaus. In der Walpurgisnacht ist alles möglich, hat Praml einleitend gesagt. Dass danach alles vergessen sei, stimmt so nicht.

Winnie Geipert (Foto: © Sewetyn Zelasny)
3., 6., 7., 13., 14. Oktober, jeweils 20 Uhr
www.theater-willypraml.de

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