»Stoner« von John Williams

John Williams: StonerSo ist leider oft das Leben

John Williams: »Stoner«, ein vergessener Roman, der zum Glück ein Welterfolg wird

Ein großes Buch. Ein Riesenbuch. Vergleichbar mit der rührendsten Geschichte, die Joseph Roth je geschrieben hat: »Hiob«. Doch ohne Pathos. Ein trostloses Buch, das man, einmal angefangen, nicht aus der Hand legen kann, bis zum Ende. Und dann nur mit feuchten Augen. Ein faszinierendes Buch, das in seiner Schlichtheit allerhöchste Kunstfertigkeit verrät. Einfache Worte für die tiefsten Empfindungen. Ein Buch, das es ohne Paukenschläge der Kritik und großen Werbeaufwand bis auf die SPIEGEL-Bestsellerliste schaffte – vor allem durch die Mund-zu-Mund-Propaganda der Leser. 1965 erstmals erschienen, kaum beachtet. 2006 in den USA wiederentdeckt und jetzt weltweit erfolgreich. Zum Glück.

William Stoner wurde 1891 auf einer kleinen Farm in Missouri geboren. Seine Eltern schuften, um zu überleben. »Mit dreißig wirkte sein Vater wie fünfzig und blickte, von der Arbeit gebeugt, ohne Hoffnung über den Flecken Land, der seine Familie ernährte. Die Mutter nahm ihr Leben so geduldig hin, als wäre es nur eine kurze Spanne, die sie durchzustehen hatte … Abends saßen die drei beim Licht der Petroleumlampe und starrten in die gelbe Flamme.« Schon in den ersten Sätzen ist der Grundton angeschlagen. Leben heißt Leiden. Seltene Glücksmomente gehen schnell vorbei. Nüchtern, schlicht wird davon berichtet.

Seinen Eltern zuliebe studiert William Agrarwissenschaften, doch seine Liebe, das merkt er bald, gehört der englischen Literatur. Er kehrt nicht, wie es seine Eltern erhoffen, auf die Farm zurück, sondern wird Assistenzprofessor für englische Geschichte, verliebt sich in eine blasse Bankierstochter und heiratet. Beim ›Vollzug der Ehe‹ hapert es. Edith reagiert hysterisch. »Nach einem Monat wusste er, dass seine Ehe scheitern würde, nach einem Jahr hoffte er nicht mehr darauf, dass es je besser werden würde.« Edith ist eine zänkische, oft kränkelnde Frau. Nach drei Jahren verlangt sie plötzlich ein Kind, auch hier verhält sie sich gespenstisch. Eines Abends »fuhren ihre Hände wie Klauen auf ihn zu, sodass er fast zurückgeschreckt wäre, aber sie suchten nur seine Kleider, griffen danach, zerrten daran und zogen ihn neben sich aufs Bett.« Nach der Geburt ist Edith an dem Mädchen nicht interessiert. Sie zieht sich ins Bett zurück oder wohnt monatelang bei ihrer Mutter. Stoner kümmert sich liebevoll um das Kind, zieht sie fast alleine auf. Ohne ersichtlichen Grund, Grace ist inzwischen ein Schulkund, schlägt Ediths Gleichgültigkeit Stoner gegenüber in Hass um. Sie entzieht ihm das Kind, drängt ihn praktisch aus dem Haus. Alle Erniedrigungen lässt er klaglos und mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Er kam zu der Einsicht, »letzten Endes war alles … sinnlos und vergeblich und gerann zu einem unabänderlichen Nichts«. Stoner war zweiundvierzig, »vor sich sah er nichts, auf das er sich zu freuen wünschte und hinter sich nur wenig, woran er sich gerne erinnerte.« Da begegnet er an der Uni einer jungen Doktorandin und plötzlich merkt er, dass all das, was ihn niederdrückt und Sorgen bereitet, »wirklich nicht weiter wichtig ist«. Aber in dem Leben des William Stoner kann es kein dauerhaftes Glück geben. Zwei Monate verbringen er und Katherine zusammen, dann ist ihnen klar, dass sie sich wegen der Intrigen an der Uni und der bigotten Moral ihrer Umgebung trennen müssen. Sie geht fort und Stoner war froh, »dass sie ihm keinen Abschiedsbrief hinterließ, der in Worten zu sagen versuchte, was nicht in Worte zu fassen war.« Er beklagt sich nicht, doch innerhalb von Wochen altert Stoner um Jahre. Das »dichte, unbändige Haar war nun fast völlig weiß geworden, das Gesicht zerfurcht und die Augen lagen tief in ihren Höhlen.« Er lebt für die Wissenschaft und für seine Studenten. Aber missgünstige, neidische Kollegen machen ihm das Leben schwer. Als Stoner mit 65 Jahren an Krebs erkrankt, zeigt Edith, seine Frau, zum ersten Mal eine gewisse Anteilnahme. Im Angesicht des Todes hört der Kampf auf. »Sie hatten sich das Leid vergeben, das sie einander zugefügt hatten und betrachteten selbstversunken, was aus ihrem gemeinsamen Leben hätte werden können.«

John Williams Roman wirkt, als wäre er dem Leben abgeschrieben. Jedes Wort scheint authentisch. Nichts erfunden, nichts aufgesetzt, sondern alles einfach wahr. Stoner, der sich ein Leben lang treu geblieben ist, stirbt wie er gelebt hat: »Die Finger lockerten den Griff, und das Buch, das sie gehalten hatten, rutschte langsam und dann immer rascher über den reglosen Leib und fiel in die Stille des Zimmers.« Der Erzähler, der uns von Stoner berichtet, steht diesem Leben ebenfalls ratlos gegenüber. Auch wenn es rätselhaft klingen: das macht das ungeheure Faszinosum dieses Buches aus. Wer »Stoner« nicht liest, ist selber schuld.

Sigrid Lüdke-Haertel
John Williams: »Stoner«.
Roman.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
München: dtv, 2013, 351 S., 19,90 Euro

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