Städel: Victor Vasarely – Im Labyrinth der Moderne

In den sechziger und siebziger Jahren hingen Vasarely-Siebdrucke in vielen bundesdeutschen Häusern – der Mann hatte seine Hochphase: Victor Vasarely, der Hauptvertreter der europäischen Op-Art, traf den Geschmack der Zeit. Doch kurz danach schon, in den Achtzigern, galt er nur noch unter Kennern als diskutabel. Die zentrale Figur der französischen Nachkriegskunst war nicht mehr modern, sondern mega-out.
Das ist heute wieder anders, wie eine große Retrospektive im Städel zeigt, die uns sechs Jahrzehnte Vasarely als »Labyrinth der Moderne« vor Augen führt – so der schöne, aber nicht ganz stimmige Ausstellungstitel. Über 100 Werke des 1906 geborenen und 1997 verstorbenen Künstlers zeigt die Schau. Werke (das macht Vasarely so besonders), die eine Verbindungslinie von der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, vom Bauhaus zur Pop-Art der Sixties ziehen.
Die Ausstellung setzt früh ein. »Hommage au carré« etwa stammt aus dem Jahr 1929, »Zèbres« aus dem Jahr 1937 – ein Knäul verschlungener Zebras, ein Spitzenwerk. Bekannt sind auch die »Vega«-Bildern der 1970er-Jahre – Weltkunstgeschichte in Frankfurt.
Vasarelys Kunst drängt optisch in den Raum und so ist es nur schlüssig, dass er auch plastisch gearbeitet hat. In der Ausstellung wird der für die Deutsche Bundesbank geschaffene Speisesaal präsentiert, der nun ins Städel umgezogen ist: Wandpaneele mit 582 kreisrunden Scheiben. Silber, gelb, grau, schwarz: ein leuchtender, heiterer Raum, Op-Art-Architektur: ein Erlebnis!
Als eine »architektonische Integration« hat der in Ungarn geborene Vasarely dieses 1972 für die Bundesbankzentrale geschaffene Werk genannt, für das er auch das Mobiliar selbst aussuchte: Stühle von Mies van der Rohe und Esstische von Eero Saarinen. Kunst und Alltag kommen hier auf schillernde Weise zusammen. Vasarely war nicht nur freier Künstler. Er war auch Designer, der etwa das Rauten-Logo Renaults entworfen hat. Sein Werk als Ganzes thematisiert auch die Frage nach den Grenzen der Kunst. Was ist Kunst? Was ist Design? Bei Vasarely löst sich diese Grenze zusehends auf.
Der Titel, »Im Labyrinth der Moderne«, passt, je länger man über ihn nachdenkt, nicht ganz. Die optische Täuschung, das Pseudo-Dreidimensionale, das formt bei Vasarely kein Labyrinth, in dem der Betrachter verloren gehen könnte. Ist es wirklich die labyrinthische »Komplexität der Moderne«, die sich in diesem Werk spiegelt, das auch viele große Arbeiten im öffentlichen Raum umfasst?
Die Ausstellung zeigt mit ihren bedeutsamen Leihgaben aus dem Centre Pompidou in Paris, der Tate Modern in London, dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York oder der Michele Vasarely Foundation, dass die konstruktive, geometrische Moderne Vasarelys in ihren standardisierten Grundformen und Farben, mit ihren unmöglichen Perspektiven und universellen Strukturen bis heute in faszinierender, energetischer, positiver Schönheit strahlt, deren Zeitlosigkeit – das zeigt diese Ausstellung – immer wieder überrascht. »Die Kunst ist künstlich und keineswegs natürlich«, sagt Vasarely. Und weiter: »Es muss ein Bild gemacht werden«, so Vasarely, »dem der Magier Zeit nichts mehr hinzufügen und nichts mehr wegnehmen kann«.

Marc Peschke
Bis 13. Januar 2019: Di.– So. 10–18 Uhr; Do., Fr. bis 21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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