Schauspiel Frankfurt: »Kinder der Sonne«

Kinder der Sonne (Foto: Birgit Hupfeld)Knutschen mit Gorki

Als die Schauspieler nach der Premiere von Maxim Gorkis »Kinder der Sonne«, von herzlichem Beifall belohnt, sich vielmals verneigt hatten, da fragte sich so mancher im Publikum, wo denn wohl das verantwortliche Team dieser Inszenierung abgeblieben sein mochte. Auch wenn überall zu lesen stand, dass die Regisseurin Andrea Moses vor den Endproben erkrankt und ihre Arbeit vom Intendanten Oliver Reese selbst übernommen worden sei, so ließ sich das Fernbleiben von diesem, von Olaf Altmann (Bühne) und Anja Rabes (Kostüme) nur als Distanzierung von dem eben Gesehenen verstehen. Wenigstens taten es die Schauspieler ihnen nicht gleich.

Die meisten der bundesweiten Kritiken dieser Vorstellung schenkten dem Regiewechsel nur am Rande Beachtung. In ihnen war vielmehr von einer durchaus gelungenen Interpretation des Dramas die Rede, das die Lebenswelt der russischen Intelligenzija vor dem Hintergrund der zugespitzten sozialen Konflikte im vorrevolutionären Zarenreich beleuchtet. Und dies sehr zu recht. Denn das sich auf die Liebesbanden der Protagonisten und das Extrapolieren ihrer Visionen konzentrierende Spiel weiß nach einem kurzen Anlauf sogar mitzureißen. Ganz herrlich die Knutschszene im Dreierpack. Ein Weilchen freilich braucht es, um die stark karikierten Profile akzeptieren zu können. Dann aber kommen der Wissenschaftsglaube des Chemikers Pavel (Thomas Huber), das träumerische Ideal seiner Gattin Jelena (Stephanie Eidt), der Fatalismus des Malers Wagin (Isaak Dentler) und der Spott des Skeptikers Boris (Oliver Kraushaar) an, wird der Pessimismus von Pavels traumatisierter Schwester Lisa, für die Verena Bukal gefeiert wird, zum Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung.

Olaf Altmann, der in Frankfurt zuletzt als Thalheimer-Spezi (»Maria Stuart«, »Ödipus«, »Medea«) punktete, hat die Bühne mit dunklen Säulen zugestellt, was zunächst an die Birkenveranda der Kimmig-Inszenierung des Stücks erinnert. Doch ist die sich bald sogar drehende düstere Waldkulisse hier auch ein schwer durchschaubarer Rückzugsort der ständig präsenten, aber auch ständig rotierenden Darsteller, die in immer neuen Konstellationen in Szene gesetzt werden. Zu einer nie verstummenden Musik, die an Wong Karwais »In the Mood of Love« erinnert.

Vom sozialen Zugriff, den die Regisseurin im Dezember-Strandgut (S. 34) angekündigt hatte und den das Programmheft (»Gorkis Gerede«) noch formuliert, lässt die Inszenierung wenig spüren. Der tumbe, seine Frau prügelnde Schlosser Jegor (Viktor Tremmel) repräsentiert die ungeschlachte Masse mehr oder minder im Alleingang, das in einem gewalttätigen Zusammenstoß mündende Finale ist gestrichen. Judith von Sternburg hat diesen Schnitt in der FR erwähnt und mit einigem Lob für die Schauspieler als den Preis einer insgesamt geglückten inszenatorischen, aber auch finanziellen Rettungsaktion interpretiert, zumal parallel auch die Produktion »Bakchen« abgesagt werden musste.

Doch nicht nur der bekannt guten Schauspieler wegen lohnt das Stück, sondern auch, weil es mit jeder Aufführung zu wachsen und Kontur zu gewinnen scheint. Drei Wochen nach der Premiere steht das Spiel bereits fest auf eigenen Beinen und wird auch vom Publikum dafür nachhaltig belohnt.

Auch wenn die Realisierung der Sonnenkinder sehr spezifisch gewesen sein mag, erhebt sich doch die Frage, ob ein Zeittakt von sechs bis acht Wochen für eine Aufführung angemessen ist. Schließlich endete, soweit von dieser Warte bewertbar, in dieser Spielzeit zumindest noch die Inszenierung von »Ajax« als Bruchlandung, andere wie »Der Idiot« auf recht wackeligen Beinen.

Die bundesweit beobachtbare, aber auch kritisch diskutierte Zunahme von Premieren und das gesteigerte Umschlagstempo der Inszenierungen sind angeblich dem Kulturhunger des großen Publikums geschuldet. Sagt man und belegt es mit Statistiken. Sie lassen sich aber auch als Folge eines Kulturschaffens stehen, das sich – unter politischem Etatdruck – zunehmend über Auslastungs- und Besucherzahlen legitimiert und eine nicht beliebig zu steigernde Zahl von Theaterinteressierten entsprechend häufiger zu animieren sucht. Dass das Schauspiel (wie die Oper) ab der nächsten Saison eine Premiere weniger ansetzen wird, geht indes auf städtische Sparprioritäten zurück und kann auch unter dem Aspekt der hier geäußerten Bedenken nichts Gutes verheißen.

Winnie Geipert
Termine: 7., 12. März, 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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