Schauspiel Frankfurt: Falk Richters ernstböses Politspiel »Safe Places«

Schweigende Mehrheit wird laut

Eine Grenze ist schnell gezogen. Oder gebaut, aus Tischen. Genauso schnell kann sie auch gestürzt, umgekippt, durchbrochen werden. Überklettert, darunter hindurch geschlüpft. Man kann sich dabei gegenseitig unterstützen. Oder behindern. Einander in die Arme fallen oder herunterstoßen. Manchmal sieht man auch allein gelassene Menschen.
Jede der Szenen in Falk Richters neuer Arbeit »Safe Places« – vor einer sanften herbstlichen Hügellandschaft in schnellem Tempo von sieben Tänzerinnen und Tänzern hingelegt – könnte ein Fernseh-Nachrichtenbild evozieren. Vier prominente Ensemblemitglieder des Frankfurter Schauspiels wirken dabei mit, werden von den Tänzern mitgerissen, hinein genommen in die Kaskaden der Bewegungen. Finden sich dann aber, um zu diskutieren: wie mit all dem umzugehen ist, was in Deutschland und Europa politische Gräben aufreißt.
Falk Richter und die Choreografin Anouk van Dijk verbinden Wort und Bewegung zu einer mitreißenden Nummernrevue, die neben den etwas steifen pseudosachlichen Diskussionen auch satirische Szenarien enthält, denen die kanalisierte Wut über das Dummdreisttum des Pegidamobs anzumerken ist. Eines davon beginnt mit »Brot für die Welt« und mündet in einer fulminanten Persiflage über das deutsche Brotwesen, an dem die Welt genesen soll. Es werden wohl 50 Sorten sein, deren Kenntnis die brillierende Constanze Becker als Prüfstein für Integrationswillige nennt. Den bitterernsten Hintergrund hat sie selbst kurz zuvor in einem fast zynisch wirkenden historisch unterfütterten Monolog »Ich bin Europa« vorgeführt. Auch die Mitglieder des internationalen Tanzensembles haben einiges beizutragen, von dem sich selbst das Publikum angesprochen fühlen darf. Die Ungarin, die ständig zu Orban, die Taiwanerin, die ständig zu China Stellung nehmen soll, der Israeli, der sich in Deutschland von vornherein lieber als Italiener ausgibt.
Weit hergeholt wirkt allerdings die (erneut) von Becker perfekt vorgeführte Parodie auf Bea »Trixi« von Storch als ein Schwarzstorch, der Wagners Walküre und Hölderlin zitiert und auf seine lieblose Kindheit unter Nazi-Papa rekurriert. Richter scheint mit der längst nicht jedem geläufigen Bundesvize der AfD, die gegen seine letzte Berliner Show (vergeblich) geklagt hatte, ein privates Hühnchen rupfen zu wollen. Der folgende Auftritt des Volkslied-Duos Frauke und Björn (Paula Hans, Nico Holonics) mit dem Schlagerlied »Deutschland braucht Grenzen« rüttelt bei aller Begeisterung über seine politischen Nonsens-Phrasen (»Arbeitsscheue Berufsdemonstranten haben meine Großmutter zwangshomosexualisiert«) doch mächtig an denen zur Albernheit.  
Was bleibt? Vielleicht die »toxischen Gedanken« von Mark Oliver Schulz als Robert. Eine Firewall möchte er errichten bei der Vorstellung, »dass wir uns noch weitere zehn Jahre mit diesem ganzen stumpfsinnigen (…) rechtsnationalen Infantilgebrabbel auseinandersetzen« und »wie Müllmänner des Internets (…) jeden widerlichen Drecksgedankenzombie einzeln (…) mit sehr viel Geduld und Ruhe entsorgen müssen«. Falk Richter aber entlässt uns mit der Frage nach einem »Europa, in dem nicht jede Nation nur damit beschäftigt ist, die größten Vorteile für ihre eigenen Landsleute herauszuholen, sondern wirklich echt gesamteuropäisch gedacht wird«. Seine Schau, so hat er in einem Interview gesagt, soll beitragen, die stumme Hinnahme, das Schweigen der Mehrheit zu durchbrechen. Mit dem frenetischen Jubel, den das Publikum ihr schenkt, meint es gewiss aber auch sich selbst. Ganz sicher ist er verdient für Schauspieler und Tänzer.

Katrin Swoboda (Foto:  © Birgit Hupfeld)
Termine: 9.–13. November 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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