»Rocketman« von Dexter Fletcher

Jetzt bekommt auch Elton John sein Biopic. Brite wie Freddie Mercury, ebenfalls Musiker, Schöpfer massenwirksamer Songs (350 Mio. verkaufte Tonträger, heißt es), Interpret mit markanter Stimme, Homosexueller und ein enormes Showtalent. Es gibt einige Parallelen zwischen den beiden Stars, doch im Gegensatz zu Freddie Mercury erlebt Elton John seine Würdigung noch, und nicht nur das. Für sein filmisches Porträt hat er auch selbst die Rolle des ausführenden Produzenten übernommen.

In »Rocketman« geschieht also nichts, was ›Sir‹ Elton nicht gebilligt hätte. Wenn man dies bedenkt, dann ist dieser Film erstaunlich exaltiert und auch ziemlich schonungslos geworden. Und die schauspielerische Leistung von Taron Egerton, der sich in den Rockstar verwandelt hat, steht der von Rami Malek als Freddie Mercury in »Bohemian Rhapsody« in keiner Weise nach.
Schon der Einstieg zeigt Elton in exotischem Kostüm auf dem Weg in eine Therapiesitzung. Dort angekommen, beginnt er zu erzählen, und der Film setzt zu einer großen Rückblende an. Später werden wir erfahren, dass er vor einem Konzertauftritt geflohen und mit exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum am Ende einer Sackgasse angelangt ist.
Natürlich schwingt da auch eine Menge Selbstheroisierung mit, denn, wie wir wissen, hat Elton John seine Lebenskrise schließlich überwunden und gehört mittlerweile, allgemein akzeptiert, zum erlauchten Kreis der neugierig beäugten High Society.
Was für eine Leistung! Der scheue kleine Junge namens Reginald Kenneth Dwight  aus kleinbürgerlichen Verhältnissen mit einer gefühlskalten Mutter (Bryce Dallas Howard) und einem Vater (Steven Mackintosh), der seine Famlie grußlos auf Nimmerwiedersehen verlässt, wird zum gefeierten Superstar.
Glücklicherweise belassen es Regisseur Dexter Fletcher und Drehbuchautor Lee Hall nicht bei einem konventionellen Biopic. Fletcher hatte nach Brian Singers Rausschmiss die Regie von »Bohemian Rhapdody« übernommen und besitzt mit dem sehr originellen Musical »Make My Heart Fly – Verliebt in Edinburgh« auch willkommene Erfahrungen. Jetzt hat er die Chance ergriffen, von Anfang an eine Musikerbiografie zu übernehmen und sie als Musical zu inszenieren.
In »Rocketman« verwandelt sich also ein Konzert in eine Tanzveranstaltung, bei der die Grenzen zwischen Publikum und Musikern verschwimmen. Das ist spektakulär und lässt die recht simple Story hinter sich zurück. Die Songs sind auch nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet.
Höhepunkt ist zweifellos der Titelsong, mit dem Eltons Selbstmordversuch unterlegt ist. Eine grandiose Sequenz, in deren Verlauf er als kleiner Junge am Miniflügel in der Tiefe des Swimmingpools zu sehen ist. Ein schönes Bild für die verlorene Naivität. Und wenn sich der in den Krankenwagen bugsierte Elton die Atemmaske vom Gesicht reißt, um zu singen, erinnert das an Bob Fosses »All That Jazz«, dessen Erbarmungslosigkeit »Rocketman« allerdings nicht erreicht.
Stammt doch das Drehbuch von Lee Hall, der für »Billy Elliot – I Will Dance« das Script verfasst und bewiesen hat, dass er einfühlsame Charakterstudie mit schmissigen Tanzszenen geschickt verquicken kann.
Während »Bohemian Rhapsody« die Homosexualität Freddie Mercurys unter den Teppich kehrt und damit zu Golden-Globe- und Oscar-Ehren kam, wartet »Rocketman« mit einer schwulen Sexszene zwischen dem jungen Elton und seinem Manager John Reid (Richard Madden) auf. Reid ist neben dem Liebhaber auch der antreibende Geschäftsmann, der besonders an seinen Prozenten interessiert ist. Mit seinem langjährigen Partner und Liedtexter Bernie Taupin (Jamie Bell) verbindet Elton dagegen eine freundschaftliche Beziehung.
Vielleicht liegt es an dem glatten »I’m Still Standing«-Ende, dass der Film nicht die Wirkung erreicht, die man nach wenigen Filmminuten erwartet hatte. Ein Ken Russell hätte dem Ganzen mehr Wucht verpasst. Dieser »Rocketman« ist für heutige Verhältnisse durchaus bemerkens- und sehenswert, auch wenn man ihn sich noch radikaler gewünscht hätte.

Claus Wecker
ROCKETMAN
von Dexter Fletcher, GB/USA 2019, 121 Min., mit Taron Egerton, Richard Madden, Jamie Bell, Bryce Dallas Howard, Steven Mackintosh
Biopic
Start: 30.05.2019

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert