Robert Seethalers neuer Roman »Das Feld«

Die kürzeste Geschichte umfasst ein einziges Wort: »Idioten«. Damit ist vielleicht nicht alles, aber doch vieles gesagt. Die anderen 29 Lebensgeschichten aus dem Grab heraus sind durchwegs, zum Teil erheblich länger, Provinzgeschichten. Seit Wochen führt Seethaler mit ihnen die SPIEGEL-Bestsellerliste an. Mit dem (Freud-)Roman »Der Trafikant« (2012) ist er bekannt geworden. Mit dem großen Roman über ein kleines Schicksal »Ein ganzes Leben« (2014) wurde er berühmt. Der neue Roman »Das Feld« knüpft zu Recht an diese Erfolge an.

Ein alter Mann geht regelmäßig auf »das Feld«, wie die Einwohner eines Provinzstädtchen mit dem (fiktiven) Namen Paulstadt ihren Friedhof nennen. Immer setzt er sich auf eine Bank unter einer Birke. Dabei kommen ihm etwas seltsame Gedanken. Die Toten könnten noch einmal von ihren Leben erzählen, darüber urteilen. Wahrscheinlich würden sie »quengeln, zetern und verleumden«. Doch der alte Mann täuscht sich.
Seethaler beschreibt 29 Episoden aus dem Leben von 29 Paulstädtern. Die längste ist 16 Seiten lang, manchmal genügt eine Seite. Zusammen ergeben diese Stimmen aus dem Jenseits ein facettenreiches Bild des Ortes (und des Lebens).
Da ist Hanna Heim mit der verkrüppelten Hand. Diese Hand, so kommt es der alten Frau vor, als sie 50 Jahre später stirbt, hat ihr Mann nie losgelassen. Pfarrer Hoberg, ein Einzelgänger, dessen Eltern früh starben und dessen »Vorstellungen vom langen Rest des Lebens« ziemlich verworren waren, wusste eines Tages sehr genau, was er tun sollte: »Er hält die Flamme einer Kerze an das Spitzentuch auf dem Opfertisch« und fackelt seine ganze Kirche ab. Ein Vater rät seinem Sohn »Mach dir keine Mühe, die richtige Frau zu finden. Es gibt sie nicht (…) Immerhin kannst du versuchen, in der falschen so viel Richtiges zu finden, dass es Spaß macht.«
Es sind vor allem die kleinen, die sogenannten einfachen Leute, denen Seethaler eine Stimme gibt. Ein Ehepaar rackert sich ab, um seinen Schuhladen zu erhalten, bis die Konkurrenz sie in den Ruin treibt. Ein arabischer Gemüsehändler, dessen Geschäft mit fremdenfeindlichen Parolen beschmiert wird, gibt dennoch nicht auf. Es sind Schlaue und Pfiffige, Benachteiligte und Enttäuschte, die von ihrem Leben erzählen. Eine Frau hatte, sagte sie, »wenn ich mich richtig erinnere, siebenundsechzig Männer (…) Es war erstaunlich: Kaum war einer weg, stand der Nächste schon da. Dabei hatte ich gar nicht viel zu bieten. Aber im Grunde ist den Männern das Aussehen einer Frau egal Sie wollen sich selbst gut fühlen, das ist alles.«
Die Stimmen aus dem Jenseits erzählen von ihren Erfolgen und ihren Misserfolgen. Sie berichten davon, wie sie sich gegenseitig betrogen, geliebt oder gehasst haben. Dann sind sie gestorben. Das war’s. Seethaler macht keine großen Worte. Er erzählt schlicht, lakonisch, mit kargen Worten, völlig unspektakulär. »
Die älteste Bewohnerin, die mit 105 Jahren stirbt, weiß recht Tröstliches darüber zu berichten: »Vom Leben weiß ich nur, dass man es zu leben hat. Aber immerhin habe ich jetzt vom Sterben eine Ahnung: es beendet die Sehnsucht, und wenn man still hält, tut es gar nicht weh.«
Paulstadt hat viele Vorbilder in der Literatur. Doch nur selten wurde so schlicht, so unaufgeregt, so eindringlich erzählt wie von ihr und ihren Bewohnern. Der Erzähler, am Ende ist auch er gestorben, fragt sich: »Steht meine Bank noch? Und die Birke?«

Sigrid Lüdke-Haertel
Robert Seethaler: Das Feld. Roman, Hanser Verlag Berlin, Berlin 2018, 239 S., 22,– €

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