Raymond Chandler: Der große Schlaf

Raymond Chandler: Der große SchlafGroßer Auftritt für Philip Marlowe

Schwierig, sich vorzustellen, wie die Kriminalliteratur heute aussehen würde, hätte ein damals 35-jähriger Öl-Geschäftsmann namens Raymond Chandler nicht 1933 angefangen, Kriminalgeschichten für das auf billigem Papier gedruckte Magazin »Black Mask« zu schreiben und dabei den von Dashiell Hammett etablierten, hartgesottenen Ermittler etwas aufpoliert, ihm Manieren, ein scharfzüngiges Mundwerk, einen gewissen Hang zu Provokation, Gesellschaftskritik und gewagten sprachlichen Vergleichen zu geben. Kurzum, den ›tough guy‹ salonfähig zu machen – und gleichzeitig ein wenig mystisch: »Down these mean streets a man must go who is not himself mean, who is neither tarnished nor afraid.«

Neben Hemingway wurde Chandler auf Jahrzehnte zum wahrscheinlich meist imitierten englischsprachigen Autor. Sein erster Roman, »Der große Schlaf« (The Big Sleep) erschien 1939 und beruhte auf den Erzählungen »Killer in the Rain« und »The Curtain«. Erstmals trat darin der etwas zynische Privatdetektiv Philip Marlowe auf, unsterblich gemacht vor allem auch durch Humphrey Bogart und seine Rededuelle mit Lauren Bacall in der Verfilmung durch Howard Hawks 1944. »Tote schlafen fest« ist ein Klassiker des Film noir, Chandlers Roman »Der große Schlaf« ein Eckstein der Kriminalliteratur.

Einerseits ist der Roman ein komplexes Mordrätsel, andererseits eine Auseinandersetzung mit der korrumpierenden Wirkung von Macht und Geld. Aus Anlass des 125. Geburtstages von Raymond Chandler bringt die Edition Büchergilde den Roman nun in einer Form heraus, die man versucht ist, eine Luxusausgabe zu nennen. Dem Genre angemessen – und als Ausstattungs- und Herstellungsleistung keine geringe Kunst – ist es sozusagen edle Gosse. Ein wenig schmuddelig, ein wenig speckig, ein wenig »daneben«, ein wenig großspurig, eben ganz Philip Marlowe. Cosima Schneider, seit Dezember 2012 neue Herstellungsleiterin der Edition Büchergilde, hat als Vorsatzpapier echtes, eigens hergestelltes silbernes Zigarettenpapier gewählt. Gedruckt und gebunden wurde bei Ebner & Spiegel in Ulm. Die leicht lesbare Schrift heißt Griffos, sie sieht aus wie eine klassische Antiqua, hat aber kleine Unebenheiten und Fehler. Der Roman ist durchgehend illustriert, und zwar vom Leipziger Grafikprofessor Thomas M. Müller. Die etwas grobschlächtigen Bilder – von weitem an die Cover des mutigen Ein-Mann-Verlages von Frank Nowatzki in Berlin und dessen Reihe »pulp master« erinnernd, »führen« richtiggehend in die Handlung: Man sieht einen Raum, blättert um und befindet sich auf der anderen Seite eben jenes Raums. Die Litho musste besondere Anstrengungen unternehmen, um auf dem glatten und eben nicht gestrichenen Papier den gewünschten »speckigen« Effekt zu erzielen. Zusammen mit den Seitenzahlen, die wie Reifenspuren wirken und sich an keinen festen Platz gewöhnen wollen, ergibt das ein rundum lebendiges, angenehmes Leseerlebnis. Das größte Vergnügen dabei – Hut ab vor Mr. Chandler – bereitet jedoch immer noch der Text. Die Gestaltung gibt ihm Raum, der äußerst großzügige Satzspiegel hat Luft nach oben, unten, außen und innen. Und so beginnt, sie, die Geschichte von General Sternwoods Töchtern: »Es war gegen elf Uhr morgens, Mitte Oktober, ein Tag ohne Sonne und mit klarer Sicht auf die Vorberge, was klatschkalten Regen verhieß. Ich trug meinen kobaltblauen Anzug mit dunkelblauem Hemd … Ich war scharf rasiert, sauber und nüchtern – egal nun, ob’s einer merkte. Ich war haargenau das Bild vom gutgekleideten Privatdetektiv. Ich wurde von vier Millionen Dollar erwartet …«

Alf Mayer
Raymond Chandler: Der große Schlaf. (The Big Sleep, erstmals 1939 bei Alfred A. Knopf in New York.) Aus dem amerikanischen Englisch von Gunar Ortlep. Mit ca. 20 Illustrationen von Thomas M. Müller. Geprägter Einband mit Schutzumschlag. 304 Seiten, 24,95 Euro.

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