Noch bis 3. März zeigt das Museum Sinclair-Haus »Aussicht – Einsicht. Blick durchs Fenster«

Um Julia Willms faszinierende audiovisuelle Filminstallation »The Picture« zu sehen, muss man nicht nach Bad Homburg ins Museum Sinclair-Haus. Man findet sie auch auf der Homepage der Künstlerin. Aber es fehlte die wunderbar passende Wand, die das Museum dazu aufbereitet hat. Und ohnehin die Atmosphäre einer Ausstellung, für die Willms‘ Arbeit wie gemacht scheint. Das vielschichtige Spiel mit ihren Betrachtern und dem Betrachten mutet wie eine Auftragsarbeit für »Aussicht – Einsicht. Blick durch Fenster« an.
In das Rechteck, das aus dem sepiafarbenem Blätterornament der Tapete leicht hervorsteht, tritt eine Frau, von der wir nur Oberkörper und Rücken sehen, um einen Nagel einzuschlagen, an den sie in der nächsten Szene ein Längsformat von Caspar David Friedichs »Der Mönch am Meer« hängt. Wenig später drapiert sie das Bild mit dem vierteiligen Rahmen eines Fensters, um dieses schon bald für eine sich geräuschvoll belebende Aussicht mit rauschenden Meereswellen, schreienden Möwen und einem am Ufer mit seinem Hund spazierenden Mann zu öffnen.
Das sechsminütige Video hält noch einige verblüffende Volten bereit und ist eine von zwei Arbeiten, mit der die in Amsterdam lebende Künstlerin zu einer neuen Etappe des nach einjähriger Renovierung wiedereröffneten Kunsthauses beiträgt. »Aussicht – Einsicht« ist zudem, frei nach den Beatles, zugleich das Goodbye des bisherigen Direktors Johannes Janssen und das Hello von Andrea Firmenich und von Ina Fuchs als verantwortlicher Kuratorin.
19 Künstler breiten mit knapp 50 Exponaten auf Filmen, Fotografien, Gemälden, Zeichnungen und Scherenschnitten ihre Gedanken zum Thema Fenster aus. Mehr als der Blick hinaus, hinein oder auch darauf fungiert das Fenster als Metapher oder als Bindeglied von innen und außen oder privat und öffentlich. Medienkünstler Arnold von Wedemeyer bringt auf »The Cabin« mit einem »bewegten Stillleben« gar das Vanitas-Motiv ins Spiel und lässt auf einer Fensterbank im fast-forward-Modus eine Brotzeit samt Blumen verwesen, während die Wiese draußen voll im Saft den Tag übersteht. Im angelehnten, vom Wind bewegten Fenster spiegeln sich Sendungen eines laufenden Fernsehers und eine Stehlampe. Ein Zeit(en)-Fenster kann man es nennen.
Bilderrätsel mit Escher-Effekt geben zwei titellose Großgemälde von Karin Kneffel auf, aber auch Jens Hausmanns »Leerer Raum« lässt das Draußen oder Drinnen offen. Ihre inszenierten Untitled-Bilder projizierten ihre persönlichsten Gefühle, verrät die finnische Fotografin Aino Kannisto für den feinen Katalog zur Schau. Drei ihrer vier Settings zeigen einsame Frauen; eine davon, die auf »Untitled (Sauna-Window)«, hat die Hand auf die dunstbeschlagene Fensterscheibe gelegt und stiert beängstigend verloren an uns vorbei ins Leere der sich spiegelnden Baumlandschaft.
Was Sehnsucht ist, zeigt Sven Fennemas Fotografie »riot« aufs Traurigste: Im Beton einer verrotteten modernen Bauruine wurzelnde Bäume mit schräg zum Fenster wachsenden spindeldürren Stämmen in ihrem Drang zum Licht.
Aus dem Fenster blickt in Rückenansicht auch der Maler Fritz Klemm. Die Aufnahme seiner Tochter Barbara entstand in seinem Karlsruher Atelier und hängt neben einem fast naiven Fensteraquarell und Zeichnungen des Künstlers. Wie andere Werke der Schau zitiert Barbara Klemms Fotografie Caspar David Friedrichs »Frau am Fenster«. Dieser Inbegriff des romantischen Sehens ist es übrigens auch, der in Julia Willms »The Picture« den Mönch ersetzt. Ebenfalls im Museum Sinclair-Haus vertreten sind Nicole Ahland, Jessica Backhaus, Peter Braunholz, Elisabeth Brockmann, Thomas Demand, Caroline von Grone, Sibylle Hoessler, Bernd Lieven, Annette Schröter, Lynn Silverman und Melanie Wiora.

Lorenz Gatt (Foto: The Picture, © Julia Wilms)
Bis 3. März: Di., 14-20 Uhr, Mi.-Fr., 14-19 Uhr, Sa., So., 14-18 Uhr
www.museum-sinclair-haus.de

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