Museum Sinclair-Haus taucht vor langer Umbaupause tief in die »Buchwelten« ein

Der letzte Wälzer

Die Idee, den Kulturträger Buch als Objekt der Bildenden Kunst in einer Ausstellung zu fokussieren, ist keine mit sieben Siegeln. Sie kommt von Johannes Janssen, dem Direktor des Bad Homburger Museums Sinclair Haus. Noch vor der Leidenschaft für die Kunst sei die für das Buch in ihm erwacht, gibt er aufschlussreich Einblick in sein Werden. »Buchwelten« titelt das Ergebnis der im wunderbaren Begleitbuch detailliert nachgezeichneten Erkenntnis.
Mit der Ausstellung schließt im März 2018 zugleich ein Kapitel in der Geschichte des 1982 geretteten dreistöckigen spätbarocken Gebäudes am Bad Homburger Schlosspark, in dem, wenn es denn wirklich das von Isaac Sinclair war, Friedrich Hölderlin ein und aus gegangen sein sollte. Das Museum soll im Herbst 2018 grundmodernisiert wiedereröffnen.
Dass der Bezug zur Natur, dem die Bad Homburger Kunstschauen und Sammlungsobjekte seit jeher verpflichtet sind und bleiben werden, auch in den Buchwelten gewahrt wird, springt schon beim Betreten des Areals bildlich ins Auge. Mitten im trister werdenden Herbst sprießen dort frühlingshaft bunte Buchdeckel aus dem Rasengrün des Vorgärtchens. Die Spanierin Alicia Martin hat das vor Ort aufgetriebene moderne Antiquariat wetterfest imprägniert, was zum Entrée schon mal optimistisch stimmt – wenn wir das recht interpretieren.
Drinnen wird uns das Buch allerdings gleich mehrfach als bedrohte Art vorgeführt. Wir finden es verbrannt, verkohlt, verwest, zerfleddert, versteinert, geschnitzt und mit Schimmel überzogen. Was seine Infragestellung bedeuten kann, wird uns im soziokulturellen, wie auch im technischen Kontext angemahnt. Die Aquarelle von Hannes Möller zeigen uns Bücher als individuelle Opfer der Brandkatastrophe in der Weimarer Herzogin-Amalia-Bibliothek (2004) und rufen unweigerlich nicht nur ältere Erinnerungen deutscher Provenienz wach, sondern auch Dystopien, wie sie François Truffauts Film »Fahrenheit 451« anmahnt. Das tut auch die Buch-Wachs-Skulptur »Brandbuch IV« von Hubertus Gojowczyk (1972): ein mittig aufgeschlagener Band, dessen kohlschwarz gewellte Seiten wie Flammen zu züngeln scheinen, aber auch extrem brüchig anmuten (s. Bild oben). Der 1943 geborene Künstler macht von jeher »in Buch« und ist mehrfach präsent. So auch mit dem Nest gewordenen Vogelkundebuch, in dem man noch ein paar Sätze zum Zaunkönig lesen kann, oder mit einer Seite aus einer Hölderlin-Ausgabe, auf der er das Gedicht »An die Liebe« (1804) Wort für Wort mit Lupe und Brennglas ausgemerzt hat. Warum?
Es gibt manches zu rätseln und vieles zu bestaunen unter den rund 100 vielfältigen Exponaten von 23 der Öffentlichkeit meist noch wenig bekannten Künstlern. Nur Anselm Kiefer mit der Skulptur »Mutterkorn«, die hier in jeder Hinsicht zur schweren Kost gehört, sticht da heraus. Ein aufgeschlagener Wälzer aus Blei mit Roggenhalmen zwischen den Seiten. Aus früheren Ausstellungen in diesen Räumen sind uns der Torf-Künstler Max Schwendter und die Britin Su Blackwell vertraut. Der Allgäuer modellierte eigens für die Ausstellung ein Torf-Buch, dessen Volumen im Lauf der Schau sichtlich schrumpfen wird. Die britische Papierkünstlerin hat das von Aschenputtels Tränen gespeiste Haselreis-Bäumchen auf Mutters Grab mit Singvögelchen kreiert, zum Niederknien schön. Mit den besten Empfehlungen.

Lorenz Gatt (© Gojowczyk/Gutenberg Museum Mainz)
Bis 18. Februar: Di. 14–20 Uhr, Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa.+So. 10–18 Uhr
www.sinclair-museum.de

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