Lilian Lokes grandioses Romandebüt
»Gold in den Straßen«

Der Makel des Maklers

Die Frau ist zwar erst dreißig, aber mit allen Wassern gewaschen. Sie kann schreiben, und wie! Sie kennt sich aus in der Welt der Makler und Edelmarken, in der Frankfurter City und bei den Benz-Fahrern aus dem Vordertaunus. Sie arbeitet in München als PR-Beraterin in einer Agentur für Bauen und Wohnen. Das Buch ist ihr erstes, und schon (fast) perfekt.

Thomas Meyer, Anfang 30, kommt aus kleinen Verhältnissen. Als Sohn eines Schuhmachermeisters wollte er selbst nie anderer Leute Schuhe flicken, den Straßendreck und den Geruch von Schuhfett an den Händen haben. Er verachtet den Vater, der die Teebeutel zwei Mal aufgießt, Senfgläser sammelt und den alten Seifenrest auf das neue Stück drückt. Der Vater ist geizig, hart, unerbittlich. Taschengeld muss man sich erarbeiten. Laufen die Klassenkameraden mit neuen Turnschuhen herum, muss er die alten auftragen. Die Mutter verlässt den Vater, als Thomas 16 Jahre alt ist. Obwohl Thomas ihn hasst, bleibt er aus Mitleid bei ihm. Thomas Meyer ist ehrgeizig, er will raus aus dem Kleinbürgermief. Er arbeitet sich nach oben, erst als Banker, dann als Immobilienmakler. Bald ist er ganz oben, er makelt nur noch Luxusimmobilien, und das mit aller Leidenschaft. Er weiß, wie man zögernde Kunden einwickelt, reiche Protze mit ihren eigenen Waffen schlägt. Meyer liebt es, »sich ganz hineinzulegen in den Verkauf.« Er ist ein Virtuose der Einfühlung. Seine Klientel sind häufig Damen aus dem Vordertaunus »überblond, überhungert, nicht mehr taufrisch, aber scheckheftgepflegt.« Hilfreich auf dem Weg nach oben ist auch seine Freundin, Tochter einflussreicher Banker und Kunstmäzene. »An Nadja ist alles edel, clean, designed – das Platinhaar, die schwarzen Yamamotokleider, ihr makellos gezogener Lippenstift.« »Wenn du Nadja in einen verranzten, alten Sessel setzt, wird er Vintage, geh mit Nadja auf einen Absacker ins ›Moseleck‹, und die Hartz-Klitsche wird fucking Avantgarde.«  Gern ließ sie sich »im schattigen Parkhauszwielicht packen«,  sie liebte »Aso Watching« im Bahnhofsviertel. Sie kauft ihm die richtigen Uhren, Anzüge, Einstecktücher, doch er spürt auch, dass sie eigentlich eine Nummer zu groß für ihn ist. Meyer hat auch gerne Sprüche auf Lager. Man braucht »die richtigen Connections, das richtige Gespür, Top-Effizienz beim Vertrieb«. »Verlieren ist keine Schande, aber schlechte Verlierer sind würdelos.« »Im Leben läuft man nur aus einem Grund rückwärts«, um »Anlauf« zu nehmen. Was in der Zusammenfassung wie ein Klischee klingen mag, ist das exakte Ebenbild der Passanten auf der Frankfurter Goethestraße.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, er  weiß inzwischen, wie man aus »Dreck Geld macht«, stirbt plötzlich sein Vater. Der Geselle, der sich Hoffnung machte, den Laden zu übernehmen, wird brutal rausgeworfen, auf Meyers Initiative das Haus abgerissen, ein lukrativer Neubau hochgezogen. Meyer makelt und macht den großen Reibach. Der Vater hinterlässt ihm 400.000 €. Aber jetzt braucht er das Geld nicht mehr. Der scheinbar arme Schuster, der ihn stets kurz hielt, immer lamentierte, kein Geld zu haben, hatte ihn offenbar ein Leben lang belogen. Thomas fühlt sich verletzt, betrogen. Irgendwie bringt ihn diese unerwartete Konfrontation mit seiner Herkunft, seiner Vergangenheit aus dem Tritt. Er macht Fehler, verschätzt sich bei Kunden und bei seinen Objekten. Er wird unsicher, plötzlich hat er »keinen guten Lauf«. Selbstzweifel, Scham – und Schuldgefühle blockieren ihn. Die Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten. In diesem Gewerbe wird nicht gezaudert. Lilian Loke hat den Aufstieg und Fall des Maklers Thomas Meyer packend, spannend und äußerst kenntnisreich erzählt. Obwohl noch so jung, hat sie erstaunliche Einsichten in die Welt des Geldes, der Wirtschaft und vor allem in die menschliche Psyche. In witzigen, spritzigen, teilweise makabren Dialogen lässt sie uns teilhaben an der Glitzerwelt der Reichen. Sie hat ein grandioses Gespür für Situationskomik und kann sie in großartigen Dialogen darstellen. Und um Meyer brauchen wir uns aber keine wirklichen Sorgen zu machen. Einer wie er, fällt wieder auf die Füße.  

Sigrid Lüdke-Haertel
Lilian Loke: Gold in den Straßen.
Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg, 2015, 351 S., 22 €

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