Liebieghaus: Die William-Kentridge-Ausstellung »O Sentimental Machine« ist ein Kosmos

Magische Momente

Der 62-jährige Südafrikaner William Kentridge ist nach Jeff Koons der zweite zeitgenössische Künstler, der die ausgestellte Sammlung des Frankfurter Skulpturenmuseums Liebieghaus mit seinen Arbeiten konfrontieren darf. Der Filmer, Zeichner, Dichter und Skulpturist hat seine Schau »O Sentimental Machine« eng zusammen mit dem Hauskurator Vinzenz Brinkmann gestaltet und in der Auswahl der Objekte intensiv Bezug auf den konkreten Ort und seine Exponate genommen. Dabei wird das verschachtelte Prachtgebäude, das sich der böhmische Textilindustrielle Heinrich Baron von Liebieg 1896 als repräsentativen Zweitwohnsitz zulegte, komplett bis hinauf zu den Studioli im Turm des Hauses genutzt. Dies vorweg: Mit einem einzigen Besuch kommt man dabei gewiss nicht hin.
Kentridge betrachtet die Villa freilich nicht nur als Hort einer großartigen Kunstsammlung und als Denkmal des städtischen Stifter- und Mäzenatentums, sondern verknüpft mit ihr auch das Schicksal derer, auf deren Ausbeutung der Reichtum des Fabrikanten beruhte. Was ihn im Falle Liebieg gleich mehrfach den Bogen zu seiner Baumwolle exportierenden Heimat schlagen lässt.
Der in einer jüdischen Anwaltsfamilie, die in Zeiten der Apartheit Schwarze in politischen Prozesse vertrat, in Jophannesburg aufgewachsene Künstler setzt schon im Foyer ein Zeichen seiner entschieden politischen Weltsicht, das dem Besuchern aufgrund seiner Größe leicht entgehen kann. Zwei wandhohe Schattenrisse sind einem Ensemble von 15 überlebensgroßen Stahlschnitten entnommen, mit denen er 2015 im Eisenbahnmuseum von Turin italienischen Wanderarbeitern ein Denkmal setzte.
Im Ägyptischen Saal beleuchten drei kleine Filme Kentridges künstlerischen Zugang. »Carnets de L’Ègypt« heißt einer davon, auf dem er selbst gleich doppelt erscheint, um die zweischneidige Rolle der historischen Archäologie zu persiflieren. Auch die Sammlung des Liebieghauses führt Objekte aus den umstrittenen Borchardt-Funden, zu denen die in Berlin gelandete Nofretete-Büste gehört.
Im Griechenland-Raum nimmt Kentridge mit den Tuschezeichnungen »Palmyra I« und »II« Bezug auf die Sprengung der Athena-Statue im syrischen Palmyra durch den IS , die bereits im vierten Jahrhundert den christlichen Bilderstürmern ausgesetzt waren. Kentridge bleibt dabei jedoch nicht stehen. Die im Zuge der römischen Eroberungskriege errichtete Statue ist selbst ein Symbol der kolonialen Unterdrückung von Kulturen. Im Dialog stehen die Vorher-Nachher-Zeichnungen der Athena mit einer Auswahl von (enthaupteten?) Skulpturenköpfen des Hauses.
Kurz und klein: Es genügen schon ein paar Meter William Kentridge, um ahnen zu können, was für ein Kosmos dieser Künstler ist, und was für ein Kontinent seine Schau.
»The Refusal of Time«, das schon auf der Documenta 2012 zu sehen war, setzt sich von lauten Trommelrhythmen und Gesängen getrieben in einer über vier Wände laufenden Filmschau mit dem Phänomen der Zeit vor, während und nach der Industrialisierung auseinander. In ihrer Mitte stampft eine mechanisch pulsierende Maschine.
Eigens für Frankfurt entwickelt wurde das »Singer-Trio« im einstigen Gastraum der Liebiegs. Drei auf Singer-Nähmaschinen kreisende Grammophontrichter beschallen die reihum an den Wänden aufgereihten Marmorbüsten der geistigen Elite Europas mit Arbeiterliedern aus Südafrika: ein so abgründiger, wie auch magischer Moment, bei dem man sich gleichwohl ein feistes Lachen nicht verkneifen mag.
Der Titel der Ausstellung ist einer Installation entlehnt, die sich grandios mit Leo Trotzki und seinem Ideal der maschinengleichen Gesellschaft auseinandersetzt. In einer virtuosen Schau aus Wort, Bild, Film und Ton werden Lenin, Stalin, Trotzkis Sekretärin, eine nie gehaltene Rede, aber auch Trotzkis Tod mit dem Eispickel behandelt. Aufgebaut hat Kentridge diese ursprünglich in einem Hotel in Istanbul in unmittelbarer Nachbarschaft zum vormaligen Exil des russischen Revolutionärs.

Lorenz Gatt (Foto: © Stella Olivier)
Bis 26. August: Di.–So. 10–18 Uhr, Do. bis 21 Uhr
www.liebieghaus.de

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