Liebieghaus: Die Gold-Edition der »Bunte Götter« setzt sich auch historisch in Szene

Es ist eine Rückkehr und weit mehr als das: Mehr als nur ein Wiedersehen mit den »Bunten Göttern« nach gut elf Jahren im Frankfurter Liebieghaus. Und nach drei Millionen Gästen auf der weltweiten Tournee im Anschluss. Schließlich ist in diesen elf Jahren vor allem technisch viel passiert und möglich geworden in der Polychromie-Forschung. Die Schau glänzt deshalb als »Golden Edition« mit einer ganzen Reihe neu entstandener Exponate in einem Museum, das dem Leiter seiner Antikenabteilung und Kurator Vinzenz Brinkmann zufolge längst eine Spitzenstellung in dieser Forschungssparte einnimmt. Diese Expertise wird in Wandschriften, Schaukästen und mit Replikaten demonstriert, die exemplarisch und detailliert etwa über die einzelnen Schritte der Farbgewinnung oder die Fertigung der Statuen informieren. Besonderes Interesse gilt dabei der erst jetzt in ihrem Ausmaß erkannten Verwendung von Gold in den antiken Statuen und Reliefs.
Das große Aufsehen, das die in phantastischen 3D-Rekonstruktionen mündenden Ergebnisse der Forschung noch immer erregt, rührt indes daher, dass im öffentlichen Bewusstsein weiter das Bild der marmorweißen antiken Skulptur und Architektur dominiert. Dabei, so beweist uns die Ausstellung, gab es nichts Gewöhnlicheres, als möglichst lebensecht anmutende bunte Statuen im farbigen Straßenbild der Antike. Mehr noch: Weiße Statuen hätten die Bewohner der Polis wohl eher als nackt empfunden und irritiert. Ein der schönen Helena zugedachtes Zitat des Euripides lässt diese über die in Krieg mündenden Folgen ihrer Entführung grämen: »Oh, wär’ ich doch schon immer so hässlich gewesen wie eine Statue, der man die Farben abgewischt hat.« Das weiße Ideal, so lehrt uns die Ausstellung, wurde erst in der Renaissance nach falschen Rückschlüssen über antike Funde »entdeckt« und als eine der naiv-religiösen Bildkunst des Mittelalters überlegene Ästhetik kultiviert.
Spätestens aber nach den von König Karl III im Jahr 1760 initiierten Ausgrabungen von Pompeji am Fuß des Vesuvs wurde die Buntheit der Antike wieder harter Fakt. Kein Geringerer als der deutsche Antikenpapst Johann Joachim Winckelmann habe sich davon 1762 vor Ort überzeugt und dies in Schriften festgehalten. Wieso der weit wirkmächtigere Frankfurter Farbenlehrer Johann Wolfgang Goethe dessen Einsichten missverstand und leugnete und wie die Farbigkeit der Antike zu Beginn des 20. Jahrhunderts schier wieder »vergessen« werden konnte, ist ein zweites großes Thema im Liebieghaus. Das unbedingte Festhalten am Mythos der weißen Antike lässt den Kurator vom »Ungeist des 20. Jahrhunderts« sprechen. Diese bewusste Verdrängung des gesicherten Wissens sei wohl nur im Kontext des Kolonialismus und rassistischer Ideologien des europäischen Faschismus zu erklären und reiche bis zu den heftigen aktuellen Debatten der »white supremacy« im Trump-Amerika.
Die mehr als 100 Exponate – doppelt so viele wie 2008 – von »Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike«, davon 60 neue Rekonstruktionen und 40 Originale, sind nicht separiert, sondern dialogisch in die laufende Sammlungspräsentation des Liebieghauses integriert und erstrecken sich so über das komplette Haus. Gleich zum Auftakt, im ägyptischen Saal, stoßen wir auf die aus Griechenland stammende rotgewandete Phrasikleia, die Grabstatue eines griechischen Mädchens aus dem 6. Jahrhundert vor unserer Zeit. Die Arbeit zeige deutliche stilistische Anlehnungen an Techniken und Ästhetik des damals kunsthandwerklich führenden Nil-Landes, wie die Nachtmotive und Sternzeichen auf dem Rücken der Figur. Das unbestritten bunte Ägypten sei die große Schule der griechischen Bildhauerkunst gewesen, sagt Brinkmann. Solon habe seine besten dort ausbilden lassen.
Der Raum nebenan ist römischen Nekropolen nachempfunden, Grabmalstatuen längs der städtischen Zufahrten in wirkmächtigen Signalfarben. In der nahen Rotunde unter dem erwähnten Helena-Zitat findet sich die »Kleine Herkulanerin« aus Delos. Die in einen golddurchwirkten türkisen Umhang und untergründiges Rosa figurbetont gekleidete Statue stammt aus der Phase des Hellenismus (300-30 vor unserer Zeit). Eine Augenweide in höchster Raffinesse und elf Farbtönen, deren weißes »Original« im Athener Nationalmuseum steht.
In schimmerndem Gold haben auch die Bikini-Venus, die Leihgabe einer Marmor-Aphrodite mit Eros-Knaben aus Neapel, und die Winckelmann-Diana ihren Platz, alte Bekannte sind die zuletzt in der Athen-Ausstellung gezeigten überlebensgroßen Bronzekrieger aus Riace und die beiden Bronzefaustkämpfer.
Eine faszinierende, großartige Schau, die mehr als einen Besuch verträgt und lohnt, weil sie nicht nur phänomenale Werke zeigt, sondern auch Einblick haben lässt in die Forschung. Zur Vorbereitung des Besuchs bietet das Liebieghaus ein Digitorial an, vor Ort gibt es eine kostenlose Audiotour, gesprochen von Katharina Thalbach.

Lorenz Gatt (Foto: Foto: Norbert Miguletz)
Bis 30. August: Di., Mi., Fr.–So. 10–18 Uhr; Mi.10–21 Uhr
www.liebieghaus.de

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