Landungsbrücken zeigt Marie Schwesingers Bühnendoku »Innere Sicherheit«

Die neue Arbeit von Regisseurin Marie Schwesinger knüpft in Form und Thematik an ihre gefragte und mehrfach ausgezeichnete Produktion »Werwolfkommandos« an. Setzte sich diese wesentlich mit der Prozessführung gegen Rechtsradikale wie im Fall der Ermordung von Walter Lübcke auseinander, so folgt »Innere Sicherheit« dem Umgang von Judikative und Exekutive mit dem Drohbrief-Komplex »NSU 2.0«. Mit diesem Absender wurden seit 2018 unter übelsten Anfeindungen Hunderte von Schreiben an politisch profilierte Menschen aus verschiedensten Bereichen versandt, die meisten davonn Frauen. Zu den Adressaten gehören etwa etwa Jan Böhmermann und Janina Wisser, aber auch die Opferanwälte der NSU-Verfahren.
Zum öffentlichen Thema wurden die NSU 2.0-Mails, als in diesen nicht einfach zugängliche Informationen auftauchten, wie im Fall einer Frankfurter Rechtsanwältin nach ihrer in den Medien diskutierten erfolgreichen Klage gegen eine ungesetzliche Ausweisung. Das ihr zugesandte Fax enthielt nicht nur ihre noch nicht kommuinizierte neue Adresse, sondern auch den Namen und das Geburtsdatum ihrer 22 Monate alten Tochter. Informationen, die, wie die eingeleiteten Ermittlungen ergaben, aus dem Ersten Frankfurter Polizeirevier auf der Zeil stammten. Wie das geschah und durch wen ist Gegenstand von Marie Schwesingers im Stil einer Partitur gestalteten künstlerischen Intervention. Ihr voraus gingen Recherchen für den mit ihrem Kollegen Jan Deck erstellten Audio-Walk »un_sicher«.
Dass der Titel »Innere Sicherheit« weit mehr meint als die der Polizei zugedachte Funktion im staatlichen Gemeinwesen, verrät die mit den Darstellern Nora Solcher, Andreas Jahncke und Sam Michelson realisierte Inszenierung von der ersten Sekunde an. »Ich weiß, dass da was kommen wird. Ich überleg es mir dreimal, bevor ich etwas sage. Und wenn ja, was ich sage«, schildert und zitiert das Darstellertrio wechselseitig und wiederholt das manifeste Gefühl der Einschüchterung der Betroffenen. Nicht die Drohungen, die wohl längst zum Alltag öffentlich tätiger Personen gehören, stehen im Fokus, sondern die sich durch die Beteiligung von Polizisten dramatisch offenbarende Qualität der Ungeschütztheit. Im Zuge der Ermittlungen wurden allein bei hessischen Polizisten rund 70 rechtsradikale Chatgruppen entdeckt.
Gespielt wird auf der Parkettbühne der Landungsbrücken ohne feste Rollenzuordnungen in schnellen Kostümwechseln rund um ein zweistöckiges drehbares Gerüst, das als Revier, Wohnung, Gerichtssal oder auch Pinwand fingiert. Im Zentrum der knapp anderthalbstündigen Aufführung stehen die schon bald auf den angeblich niemandem bekannten Anfrager aus Berlin hinauslaufenden Ermittlungen sowie der Versuch, die möglichen Abläufe seiner als angeblicher Polizist eingeholten Anfragen zu rekonstruieren.
Wiewohl das ob der Fülle und Häufigkeit der herausgegebenen Informationen bisweilen slapstickhafte Züge annimmt, macht der Schluss, den Hessens damaliger Innenminister Peter Beuth aus den Ermittlungen zieht, eher Angst um die politische Verfasstheit unseres Landes. Beuth gab nach der Verurteilung des angeblichen Einzeltäters aus, dass nun »Dutzende von Opfern und die gesamte hessische Polizei aufatmen« könnten. Das Gericht hatte indes lediglich festgestellt, dass nicht bekannt sei, ob der zu fünf Jahren Haft verurteilte Berliner, Helfer bei der Polizei hatte.
Wer halbwegs die Nachrichten verfolgt, wird nicht wirklich Neues erfahren und trotzdem kaum zum Atemholen kommen bei dieser stark besetzten, sprachlich überaus präzisen und durchgängig fesselnden Inszenierung, der man nur wünschen kann, möglichst oft auch dort aufgeführt zu werden, wo sie aufzuklären vermag.

Winnie Geipert / Foto:  © Christian Schuller
Termine: 9., 10. Juni, 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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