Konservativ (81)

Konservativ ist mittlerweile ein Schimpfwort – ebenso wie liberal und die Steigerung neoliberal.

Dabei wäre es gut, wenn zumindest Banker konservativ wären. Eine Anlagerendite als »konservativ betrachtet« anzupreisen, hieß einst bei ihnen, dass der als erzielbar genannte Ertrag den nahezu ungünstigsten Fall abdeckte, was, wie Herr Wowereit sagen würde, auch gut so ist – und uns darüber hinaus einige der aktuellen Probleme erspart hätte.

Die voraussichtlichen Baukosten von Stuttgart 21 belaufen sich mittlerweile auf geschätzte 6,5 Milliarden Euro (statt wie bisher behauptet 4,5 Milliarden), und das ist keine konservative Schätzung. Ein solche beliefe sich auf etwa 12 Milliarden Euro – und das alles für ein Bauvorhaben, das die Welt vermutlich nicht braucht und schon gar nicht zu diesem Preis.

Konservativ – in diesem Kontext zumindest – ist also etwas Gutes. Es kann durch das Wort »vorsichtig« ersetzt werden. Und vorsichtig zu sein, das ist die erklärte Devise von mindestens 75% aller Deutschen. Ansonsten steht konservativ für rechts – und rechts steht oft für Hitler, gegen den »der Widerstand« bekanntlich »täglich zunimmt«.

Als Konservative werden heutzutage allerdings auch Leute bezeichnet, die die Schwulenehe ablehnen. In Frankreich kloppen sich deswegen die Leute sogar auf der Straße. In Deutschland besteht eher ein Konsens (bei uns besteht ja immer entweder ein Konsens, es wird nach einem gesucht oder jemand legt einen anderen aufs Kreuz um des Konsenses willen), dass die Schwulenehe gut, also fortschrittlich ist. Fortschrittlich ist das Gegenteil von konservativ. Merke: fortschrittlich ist immer gut – konservativ immer schlecht, außer da, wo es durch »vorsichtig« ersetzt werden kann. Da Schwule (noch) keine Kinder kriegen können, ist es nur folgerichtig, wenn sie Kinder adoptieren dürfen. Irgendwann wird das Kinderkriegproblem sicher durch Gentechnik, Samenbanken und künstliche Gebärmütter gelöst werden. So weit sind wir aber noch nicht.

Vorsicht müssen wir bis dahin jedenfalls auch bei der Gentechnik walten lassen. So wie die fortschrittliche (rot-grüne) Landesregierung Niedersachsen, die gegen den erklärten Willen von Schülern und Lehrern ein Forschungsprojekt von Schülern (es lief seit 2008 und hat den Wettbewerb »Jugend forscht« gewonnen) suspendierte, weil es eine »einseitige Werbung für Gentechnik« sei – 3% (in Worten drei Prozent) der Kosten wurden nämlich von der Wirtschaft bezahlt.

Ich jedenfalls werde konservativer mit jedem Tag, den ich älter werde. Früher – habe ich mir sagen lassen – war das normal.

Kurt Otterbacher

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