Kasse oder privat? (107)

Wer kennt sie nicht, diese Frage der netten Sprechstundenhilfe am Telefon, wenn man als Neukunde um einen Termin nachsucht. Gut, sofern man denn überhaupt am Telefon durchkommt. Wer sich da überrumpeln lässt und das Unwort »Kasse« oder gar »AOK« in den Hörer haucht, hat damit schon den ersten Kardinalfehler im ärztlichen Versorgungsgeflecht unserer Republik gemacht. Natürlich verkündet man mit stolzer Stimme, dass man privatversichertes Mitglied der deutschen Beamtenschaft sei und somit dann hoffentlich in den Genuss umgehender Terminzusage kommt. Und wenn du zum Termin deinen AOK-Mitgliedsausweis auf den Tresen legst und die nun nicht mehr ganz so nette Sprechstundenhilfe dir mit anklagend vorwurfsvollem Blick ein harsches »Sie haben doch behauptet privatversichert zu sein!« zuschleudert, dann ist Coolness angesagt. »Da muss ein Missverständnis vorliegen, da haben sie mich wohl falsch verstanden.« Zwar wird sie dich jetzt ganz hinten in die Warteschlange einreihen und dich im Wartezimmer versauern lassen, in der Hoffnung, dass du aufgibst. Aber was sind drei Stunden Rumsitzen mit der Ablenkung durch die Gala und den Erzählungen unterschiedlichster Krankheitsbilder gegen das Warten auf einen Termin in zwei Monaten. Wobei du dich dem Versuch, dich wieder wegzuschicken, natürlich energisch entgegenstellen musst. Alles natürlich vorausgesetzt, der Arzt oder auch die Ärztin hat überhaupt ´ne Kassenzulassung. Aber wenn du dann nicht gerade einen Nachfolgetermin vom Arzt (oder eben der Ärztin) verordnet bekommst, wird es natürlich schwer, hier nochmal mit der gleichen Geschichte durchzukommen. Aber wofür haben wir die freie Arztwahl.

(Um die Ehre unserer Ärzteschaft wiederherzustellen, muss ich allerdings betonen, dass ich selber in meiner über mehrere Jahrzehnte gesammelten Erfahrung erst einmal (!) mit dieser Eingangsfrage konfrontiert wurde. Und da hab ich natürlich prompt meine BEK-Mitgliedschaft verraten. Hab’s aber überlebt.

Nun wollte ja die SPD diesem Spuk ein Ende bereiten und rief die Bürgerversicherung als Mittel der Wahl und als Bedingung für den Eintritt in die minimalgroße Koalition (Mikroko) auf. Dieser mitgliederberuhigensollende Spuk war dann aber auch ganz schnell vorbei. Wie das Ding genau aussehen sollte, war den Protagonisten ja gar nicht so klar. Und den Abwärtstrend der stolzen Lasalle-Noske-Ebert-Kühnert-Partei hielt die in den Ring geworfene Überschrift nun auch nicht auf. Stattdessen sollen also die Privathonorare gedeckelt werden. Da dies aber zur Verarmung der deutschen Ärzteschaft führen würde, könnte es nur durch Erhöhung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenkasse vermieden werden. Sowas nennt man schon mal ein schlüssiges Konzept. Die Wartezeiten für Kassenpatienten werden sich dadurch sicherlich dramatisch reduzieren.

In meinem durch keinerlei Sachkenntnis getrübten Hirn stellt sich die Lösung ziemlich einfach dar. Zum einen könnte man ja Ärzten, die Kassenpatienten in die Warteschlange nach hinten stellen (was durch Kontrollbuchungen ja herauszufinden wäre), den Entzug der Kassenzulassung androhen und nach mehrmaligen Verstoß auch tatsächlich vollziehen. Denn immerhin 70 bis 80 Prozent ihrer Einnahmen erzielt die Ärzteschaft von den Gesetzlichen. Auf das Geschrei freue ich mich jetzt schon. Und zum anderen könnte das öffentliche Beihilferecht so geändert werden, dass der Staat nicht mehr die Hälfte der Arztkosten übernimmt, sondern ihren Bediensteten den Arbeitgeberanteil erstattet, der auch für die gesetzliche Krankenkasse zu zahlen wäre. Das Geschrei wäre nicht minder groß.

Aber wie schrieb ich schon letztens: auf mich hört ja keiner.

Jochen Vielhauer

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