Karin Slaughter: Cop Town

Polizeiroman, weiblich

Karin Slaughter – das i im Vornamen hat sie ihrem Vater zu verdanken, der auf deutsche Frauen(?)namen stand – steigt hart und direkt ein in ihrem Polizei-Roman »Cop Town«, das auch im Original so heißt. Mag sie als approbierte Bestsellerautorin unter dem Generalverdacht allzu gängiger Konventionen und griffiger Effekte stehen, so belehrt sie in diesem Buch Kritiker eines Besseren. »Cop Town« ist der seit Jahren verdammt beste Polizeiroman alter Schule. Keine postmodernen Sperenzchen, gute alte hartgesottene, durchgeplottete Erzählung. Mit dem besonderen – und rühmenswerten – Dreh, nicht nur den Rassismus, sondern auch die Frauenfeindlichkeit innerhalb des Polizeikorps als erzählerisch überzeugendes Movens zu haben.
Heute, wo Furtwängler, Kommissarin Heller und 200 andere Fernsehheldinnen das Bild einer angeblich mehr oder weniger genderbalancierten Ordnungskraft bedienen, ist es erfrischend und lehrreich, spannend dazu, die Anfänge weiblicher Polizeiarbeit in Breitwandgröße miterleben zu können. »Cop Town« ist auch eine historische Rekonstruktion, sozusagen ein weiblicher Blick auf die von Vietnamkrieg und gesellschaftlichen Unruhen erschütterte Männlichkeitswelt der »Chorknaben«. Joseph Wambaughs genreprägender Roman erschien 1975, Slaughters Buch spielt Ende 1974.
In »Bittere Wunden« (Criminal) aus der Georgia-Serie, in denen Karin Slaughter ihre beiden erfolgreichen Serien »Grant County« und »Will Trent« zusammenführt und Sara Linton und Will Trent gemeinsam ermitteln lässt, gab es bereits einen gewissen Blick auf die Polizeiarbeit in den 1970er Jahren. Die Polizistin dort hieß Amanda Wagner, war knallhart; sie hatte bereits Karriere gemacht und die Leiter hinter ihr hochgezogen. Frauen behandelt sie härter als Männer. Jede Frau kenne solch eine Frauenfigur in ihrem Leben, meinte Slaughter, als ich sie auf diese Figur ansprach. Das Nachdenken über Amanda Wagner und wie sie wohl mit Anfang zwanzig gewesen sei, das sei die Wurzel für »Cop Town« gewesen, wo sie zwei junge Frauen in den Mittelpunkt stellt. Slaughter hat sich dafür viel Expertise eingeholt, hat sich – wie Wambaugh das immer tat – viel Cop Talk erzählen lassen, mit Polizeiveteraninnen geredet.
Sie erzählt hauptsächlich drei Tage aus dem Leben zweier junger Polizistinnen, klingt mit dem achten Tag aus, als die Anfängerin der vergangenen Woche bereits eine durch die Hölle der Realitäten gegangene angehende Veteranin ist. »Cop Town« ist auch ein Initiationsroman. Eingeführt ins Polizistenleben wird Kate Murphy, sie stammt aus gutem, jüdischem Hause, was im Ku-Klux-Klan-Atlanta, auch wenn da jetzt ein schwarzer Bürgermeister im Rathaus regiert, nicht nur gut ankommt. Sie ist schon länger Witwe als sie ihren im Überseekrieg gefallenen Mann überhaupt gekannt hat, ihre Erzählung setzt an dem Tag ein, als der Vietnamkrieg zu Ende geht. Der Roman koppelt sie mit der 23-jährigen Maggie Lawson, Jimmy aus dem Prolog ist ihr Bruder, ihr Onkel Terry einer von jenen Polizisten, die am Morgen schon nach Alkohol riechen, in der Küche nie die Tür hinter sich zu machen, weil es »ein Nicht-Raum ist – eins jener Dinge, die wichtig für Frauen waren, die Männer aber nichts angingen. Wie Monatsbinden oder Liebesromane«.
Terry ist bekennender Rassist, und »froh, dass die Affen aus dem Zoo noch nicht das Sagen haben. Das hier ist immer noch eine Cop-Town, meine Süße – eine Stadt der Polizisten.« Nur dass da – wir kennen das aus Ed McBains allerersten Roman vom 87. Polizeirevier – seit Monaten ein Cop-Killer unterwegs ist. Er überfällt Streifenpolizisten, zwingt sie, sich niederzuknien, richtet sie hin. Don Wesley ist sein fünftes Opfer gewesen, Maggies Bruder Jimmy kam wegen der Ladehemmung davon. Für Terry ist es klar: »Das hier ist schlicht und einfach ein Rassenkrieg. Es ist genau, wie ich vor zehn Jahren gesagt habe: Gib ihnen ein bisschen Macht, und sie stürzen sich auf dich wie tollwütige Hunde. Die Macht wieder übernehmen – das ist jetzt unsere Pflicht.«
Er sieht den Rassenkrieg, Maggie und vor allem Kate als Frischling erleben die Unterdrückung. Es gibt eine dritte Erzählperspektive, die des Killers, was den roten Faden von Rassismus, Schwulen- und Frauenfeindlichkeit noch einmal ganz eigen verzwirbelt.
Slaughter dosiert Kolorit, Milieu und Hintergrund dramaturgisch ohne Fehl und Tadel, »Cop Town« ist der Roman einer Kriminalschriftstellerin in Hochform. Kapitel 5 weitet den Fokus auf die schwarzen Polizisten. Noch bis vor kurzer Zeit hatten diese »Kollegen« sich nicht einmal in den Dienststellen aufhalten dürfen, sie hatten keine Streifenwagen, mussten sich anderswo herumdrücken, bevor sie zu einem Einsatz dazu gerufen wurden, wo sie eh nur Schwarze verhaften und Weiße nicht einmal befragen durften. Keine weiße Polizistin würde auch heute noch (zur Erinnerung: 1974) zu einem schwarzen Cop ins Auto steigen. Bei Männern galt das erst recht. Weiße und schwarze Beamte waren sich nur darin einig, dass Frauen nicht in Uniform gehörten. Also hatten es schwarze Polizistinnen am allerschlechtesten, sie standen ganz ganz unten, mussten sich gar getrennt von den weißen Beamtinnen umziehen.
Dabei erzählt uns Slaughter ihre Geschichten niemals weinerlich, sondern hart, schnell, tough, mit Situationskomik, unerschrocken und unsentimental wie auch ein Ed McBain das getan hätte. Überhaupt, bin ich mir sicher – nach der geballten Wieder-Lektüre aller 55 Romane vom 87. Polizeirevier darf ich das sagen –, dass der Großmeister dieser Autorin zu diesem Roman gratuliert hätte.

Alf Mayer
Karin Slaughter: Cop Town (2014).
München: Blanvalet. 2015.
Klappenbroschur. 544 Seiten. 14,99 €

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