Jeremey Benthams »Panoptikum« endlich zugänglich und neu bewertet

Ein Klassiker des Gefängniswesens

Jeremy Bentham: Das PanoptikumWie eine Detektivgeschichte liest sich diese Neubegegnung mit einem wichtigen klassischen Text, der in keiner Kulturgeschichte des Gefängnisses fehlen dürfte: Jeremy Benthams »Panoptikum oder Das Kontrollhaus«. Was Herausgeber Christian Welzbacher hier in der Reihe Batterien im Verlag Matthes & Seitz vorlegt, ist nicht nur editorisch sorgfältig und buchgestalterisch gediegen, es ist vor allem inhaltlich eine kleine Sensation. Im Jahr 1791 in einer Auflage von gerade 500 Exemplaren veröffentlicht, erscheint der knapp 100 Buchseiten umfassende ursprüngliche Text nun erstmals vollständig auf Deutsch, für die eigene Urteilsfindung unerlässlich. Bis heute gibt es keine endgültige Ausgabe des Gesamtwerks des englischen Sozialreformers Jeremy Bentham (1748–1832), wohl aber hartnäckig verfestigte Urteile über ihn. Er sei, so das allgemeine Urteil, ein früher Verfechter des Überwachungsstaates gewesen, ein schlimmer Finger.

Seinem »Panoptikum«, dem idealen Gefängnis- und Erziehungsbau mit strahlenförmig angeordneten Trakten, genügt ein im Mittelpunkt des runden Gebäudes sitzender Aufseher, um all die Delinquenten einer gleichzeitigen, permanenten Überwachung zu unterziehen. Michel Foucault sah in seinem Werk »Überwachen und Strafen« (1975) Benthams Gefängnisbau als Prototypen für die latente Perversion bürgerlicher Aufklärung, als die Schizophrenie eines Liberalismus, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.

Foucault kannte, als er das schrieb, vom »Panoptique« nur eine 1791 erschienene Kompilation der Texte Benthams, die der Genfer Publizist Etienne Dumont verfasst hatte. Nun liegt der vollständige Text vor, und es lässt sich lesen, wie viel Platz und Bedeutung Bentham eben gerade nicht der Bestrafung, sondern der Besserung einräumte, wie er einen – wirtschaftlich-utilitaristisch – modernen, aufklärerischen Ansatz verfolgte gegenüber dem herkömmlichen primitiven, in vieler Hinsicht unproduktiven Strafsystem.

Die Sitten reformiert, der Gesundheit einen Dienst erwiesen, das Gewerbe gestärkt, die öffentlichen Ausgaben gesenkt, die Wirtschaft gleichsam auf ein festes Fundament gestellt, der Gordische Knoten der Armengesetze nicht durchschlagen, sondern gelöst – all das durch eine einfache architektonische Idee. So sah Jeremy Bentham seinen Entwurf. Eine neue Methode sei es, »die darauf abzielt, durch die Kraft des Verstandes die Seelen in einem Umfang zu formen, wie es bislang ohne Beispiel ist, und das bis zu einem ebenfalls beispiellosen Grade, abgesichert gegen Missbrauch durch Jeden, der sich entscheidet, sie anzuwenden«.

Alf Mayer
Jeremy Bentham: Das Panoptikum
(Panopticon or The Inspection-House; aus dem Jahre 1787). Aus dem Englischen und mit einem Essay von Andreas L. Hofbauer, herausgegeben und mit einem Nachwort von Christian Welzbacher, mit einem Essay von Henry Sidgwick und einem Interview mit Michel Foucault.
221 S., 12 Abb., geb. mit Schutzumschlag.
Matthes & Seitz, Berlin 2012,
Preis: 26,90 €.

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