Internationale Maifestspiele Wiesbaden: Auf Weltniveau mit Shechter, Inger, Cherkaoui und Liddell

Die Fans des zeitgenössischen Tanzes gehören bei den Maifestspielen zu den bestbeschenkten – so man bei Spitzenpreisen von 85,80 Euro in dieser Sparte von Geschenk sprechen kann. Sie werden von drei großen Ensembles der internationalen Tanzszene und einer Ausnahme-Performance auf Weltniveau bedient. Mit dabei ist einmal mehr der israelische Starchoreograf Hofesh Shechter mit seiner britischen Company, der dem Festspiele-Publikum nach »sun« (2015) und »barbarians« (2016) seine neue Arbeit »Grand Finale« präsentiert. Das aufregende Werk für zehn Tänzer und eine sechsköpfige Live-Bühnenband alten Zuschnitts, das der Autor im Dezember in Ludwigshafen verfolgen durfte, verhandelt nicht weniger als den Weltuntergang – aber als finale Party.
Markant sind für die düstere Inszenierung ein halbes Dutzend mächtiger verschiebbarer Wände oder Blöcke, die uns in nächtliche Straßenschluchten und Tunnels versetzen oder bedrohlich eng zueinander rücken können. Die anthrazitfarbenen glatten Raumteiler dienen als Kulisse für aggressive Begegnungen und Aufruhr, aber auch für leidenschaftliche private Begegnungen und kollektive Ausgelassenheit. Unterlegt werden diese Szenen von bisweilen martialischen elektronischen Sounds. Immer wieder aber – und das ist der eigentliche Clou der Inszenierung – tritt auch eine mit Celli, Flöte, Geige, Gitarre und Schlagwerk besetzte und in Fracks gekleidete Combo mit durchaus vertrauten Klängen ins Bild. Auch wenn sie auf »Näher mein Gott zu dir« verzichtet und dafür das Publikum unwiderstehlich »Lippen schweigen« aus der Lustigen Witwe summen lässt, sind die Assoziationen zu dem Titanic-Orchester nachgerade zwingend. Hofesh Shechter hält mit »Grand Finale« einer in Party-Partylaune in den Abgrund torkelnden Gegenwart den Spiegel vor, lässt dem Zuschauer aber über den Genuss eines hochenergetischen Tanzerlebnisses hinaus nicht ohne einen Hoffnungsschimmer zurück, dass alles auch anders werden könnte. (19. Mai, 19.30 Uhr).
In welche Zeit die »Golden Days« des Balletts Aterballetto aus Reggio Emilia entführen, ist bei Musik von Keith Jarrett, Patti Smith und Tom Waits kein Rätsel. In seinem zu einer »musikalischen Sinfonie« formierten Triptychon verbindet der 1967 geborene schwedische Choreograf Johan Inger, langjähriger Chef des Stockholmer Cullberg-Balletts, seine bereits bestehenden Arbeiten »Rain Dogs« (Waits) und »Bliss« (aus Jarretts Köln-Concert) mit dem neu entstandenen Solo »Birdland« (Smith). Die nostalgische, aber keineswegs unkritische Reise in eine Zeit der Veränderung, des Aufbruchs und Selbstvergessens, aber auch des Verlustes bestreitet das bereits 1979 gegründete einzige freie Tanzballett Italiens mit 16 Tänzern und Tänzerinnen. (10./11. Mai, 19.30 Uhr)
Die Menschheitsgeschichte als Zusammenspiel unterschiedlicher Identitäten und Kulturen behandelt das elfköpfige belgische Ensemble von Sidi Larbi Cherkaoui in der Choreografie »Puz/zle«. Mit dabei auf der religionsphilosophischen Suche nach den gemeinsamen Wurzeln nicht nur von Christentum und Islam sind das korsische Männergesangsquartett »A Filetta« die libanesische Mezzosopranistin Fadia Tomb El-Hage und der japanische Multiinstrumentalist Kazunari Abe. (15. Mai, 19.30 Uhr)

Gisbert Gotthardt (Foto: »Golden Days – Rain Dogs«, © Nadir Bonazzi)
www.maifestspiele.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert