In Frankfurt gestrandet – »Le Prince« von Lisa Bierwirth

Liebesgeschichten sind von Natur aus kompliziert, weiß man ja, und noch komplizierter werden sie in der Zeit, da sich Postkolonialismus und globaler Kapitalismus ineinander schieben, wenn sich zum Beispiel eine Kuratorin in ihren Vierzigern in Frankfurt in einen Geschäftsmann aus dem Kongo verliebt, der bei dem Versuch, Investoren für eine Diamantenmine zu finden, hier aus bürokratischen Gründen gestrandet ist. Oder umgekehrt: Der Übergang vom Postkolonialismus in den globalen Kapitalismus ist von Hause aus kompliziert, weiß man ja, und noch komplizierter wird er, wenn sich Menschen aus verschiedenen Kontinenten und Geschichten ineinander verlieben und an allen Ecken und Enden die Widersprüche wieder aufbrechen.

Ist Liebe die Lösung für die alten und neuen Brüche? Könnte der Kongo je genesen von den Wunden, die ihm die Kolonialisten und ihre Nachfolger angetan haben? Kann sich der Westen wirklich bis in die Seelen und den Alltag hinein dekolonialisieren? Könnten zwei Menschen, die sich lieben, einfach alles vergessen und alles vergessen machen? Es gibt keine Antworten, nur Geschichten.
Eine etwas angespannte Situation in der Frankfurter Kunst-Szene. Ein Team zerbricht. Gefrustet landet die Kuratorin Monika in einem von Afrikanern betriebenen Lokal und gerät dort in eine Razzia. Joseph, ein Geschäftsmann aus dem Kongo, muss sich verbergen, weil er nicht nur mit seinen Papieren, sondern womöglich auch mit ein paar zweifelhaften Geschäftspartnern seine Probleme hat. Das gemeinsame Verstecken ist, wie man so sagt, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Zwei Menschen, einerseits, die man sich unterschiedlicher kaum vorstellen kann. Und andrerseits: Zwei Menschen, die, jeder auf seine Weise, in einer Lebenssituation festgefahren, zugleich ausgestoßen und eingesperrt sind. Leute, die schon ein Stück Leben mit sich herumschleppen. Eine Art »Casablanca«-Situation. Und eine Studie in postkolonialer Alltäglichkeit, in der sich sehr verschiedene Impulse aus westlichem Liberalismus (mit der zugehörigen Überheblichkeit) mit afrikanischem Stolz (mit der zugehörigen Empfindlichkeit) reiben.
So glücklich man zu zweit sein kann, so schwierig gestalten sich die Beziehungen mit der Umwelt. Wechselseitig besucht man einander in den entsprechenden Szenen, meistens wird dabei gegessen und getrunken, natürlich geredet, manchmal eben das genau Falsche. Monika bietet Joseph an, ihn zu heiraten, damit er die erforderlichen Status-Papiere erhält, aber das ist eine von den Dingen, die Joseph kränken: Er braucht keine Hilfe, er braucht Respekt, sagt er erbost. Aber wie soll das eine ohne das andere gehen? Immer wieder verschwindet Joseph, einmal im Knast, das andere Mal in dubiosen Geschäften. Er ist besessen vom finanziellen Aufstieg, einmal behauptet er sogar, seine Geldbörse sei seine erste und wahre Braut.
Nebenbei kämpft Monika um eine neue Stelle und muss ein Einstellungsgespräch über sich ergehen lassen; es gibt eben viele Arten, Menschen ihre Würde zu nehmen. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen Hoffen und Bangen, Trennen und Wiederfinden, Beinahe-Aufhören und doch Weitermachen. Oder eben: Es ist eine Geschichte, die nach den Möglichkeiten der Liebe an der Schnittstelle zwischen der alten und der neuen Form von Ausbeutung und Gewalt fragt.
Die Kamera (Jenny Lou Ziegel) folgt den beiden (meistens) durch die Nacht von Frankfurt, dort wo sich der Glamour des Geldes mit den grellen Licht der Bahnhofsstraße mischt, wo Wirtschaft und ihr Schatten miteinander verschwimmen, oder in Innenräumen die ihre eigene Unübersichtlichkeit inszenieren, oft ist ungeheuer vielstimmiger Lärm um sie, richtig ankommen tun sie nirgends. Der Blick dieser Kamera bleibt auf eine melancholische Art gelassen, selbst in dramatischen Szenen, er »weiß« mehr als die Protagonisten, dass dies hier kein Melodrama und keine romantische Ballade ist. Es geht um die Mühen zweier Menschen am Rande der Überforderung und darüber hinaus, sich ihr Leben und ihre Beziehung nicht nehmen zu lassen. Dabei ist es von Bedeutung, dass keiner von beiden in Gefahr gerät, eine der klassischen Opfer-Rollen zu übernehmen. Es sind sogar Protagonisten der Globalisierungselite, kulturell und ökonomisch, wenn auch nicht von der erfolgreichsten Seite. Am Ende haben Monika und Joseph erst einmal beide ihre Karriere-Träume verpasst. Ob vielleicht gerade das eine neue Chance ist? Keine Sorge, mit einer Feelgood-Message entlässt uns »Le Prince« nicht.
Die beiden Hauptdarsteller bleiben bei aller Spannung zurückhaltend, nicht nur, weil Passi Balende als Musiker ohnehin nicht zu schauspielerischen Tricks greift sondern vollkommen mit seiner Figur verschmilzt, und Ursula Strauss in ihren Fernsehserienrollen das leise Unterspielen längst zum Markenzeichen gemacht hat. Freilich: Wenn sich der Film die Frage stellt, ob Monika und Joseph sich wirklich als gleichberechtigte Menschen begegnen können, dann tut er das eben doch vornehmlich aus der Perspektive von Monika, das wird auch nicht verborgen. Man müsste wohl die Geschichte noch einmal erzählen, in einem afrikanischen Film.
Beide bewegen sich in einer fremden Sprache, dem Englischen als lingua franca (einmal erklärt einer von Josephs afrikanischen Geschäftspartnern stolz, dass seine Kinder schon einige Worte Chinesisch gelernt haben), und das limitiert auch die Kommunikation, so wie beide immer wieder auch erfahren müssen, dass man durch Sprache auch ausgegrenzt werden kann. Es ist weniger das Drama (nicht dass es an dramatischen Szenen fehlen würde), es ist vielmehr die Genauigkeit, mit der Alltag und Verzweiflung wiedergegeben werden, was »Le Prince« über das Gros von Culture- Clash-Filmen heraushebt.

Georg Seeßlen (Fotos: © Port au Prince Pictures)

LE PRINCE
von Lisa Bierwirth, D 2021, 125 Min.
mit Ursula Strauss, Passi Balende, Nsumbo Tango Samuel, Victoria Trauttmansdorff, Alex Brendemühl, Hanns Zischler
Drama
Start: 30.09.2021

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