English Theatre startet mit dem Thriller »Switzerland«

O weia! Da fällt einem doch sofort der Satz von Anton Tschechow ein: »Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat zu schießen«. Und nicht nur Schusswaffen, sondern auch Dolche, Säbel, Klingen als Sammlerstücke schmücken das von Bühnenbildner Neil Irish in Szene gesetzte große Wohnzimmer des Schweizer Berg-Hideaways einer alt gewordenen Patricia Highsmith, den einzigen Schauplatz des Thrillers »Switzerland« von Joanna Murray-Smith. Man sieht sie nicht gleich, auch weil das große Screen-Fenster dieses Chalets uns ein herrliches Alpenpanorama vorspiegelt, entdeckt in den ersten Minuten des Corona-Saison-Openers am English Theatre aber immer mehr dieser Mordwerkzeuge dekorativ und griffbereit zwischen den Bücherregalen und zeitgenössischer Kunst platziert. Written on the wall: Dieses Stück kann gar nicht gut enden.
Die australische Dramatikerin hat sich für diese Arbeit intensiv mit dem Werk und der Biographie der 1995 im Alter von 74 Jahren in Lausanne an Krebs gestorbenen US-amerikanischen Schriftstellerin befasst und eine Geschichte ersonnen um deren verbürgte Idee, einen sechsten, letzten Tom-Ripley-Roman zu verfassen. Die faszinierende Figur des amoralischen attraktiven Mörders trug, beginnend 1955 mit »The Talented Mr. Ripley«, viel zu Ihrem Weltruhm bei.
Patricia Highsmiths Gegenpart in dem 2014 uraufgeführten Zweipersonen-Kammerspiel nennt sich Edward Ridgeway und erscheint als junger wohlgekleideter Mann, der vorgibt, von seinem New Yorker Verlag geschickt worden zu sein, um diesem die Rechte an dem noch nicht realisierten Werk zu sichern. Höflich bis schüchtern ist der Verlagsangestellte kein wirkliches Gegenüber für die schroffe, etwas weltfern wirkende und um keine unpopuläre Meinung über Juden und Schwarze verlegene Schriftstellerin. Eine Misanthropin par excellence, die sich ein Vergnügen daraus macht, den ungelenken, naiven Schwärmer bei jeder Gelegenheit abzuwatschen, dann aber mit Staunen erlebt, wie dieses scheinbar bequeme »Opfer« ihrer Zynismen, mit jeder Ohrfeige, die es einstecken muss, Kontur gewinnt und wächst. Dieser talentierte Mr. Ridgeway kennt sie und ihre Kreation besser, als ihr lieb sein kann. In dem schon bald auf Augenhöhe in jedem Sinne zugespitzten Duell aus feinen, wohlgesetzten – und auch leicht zu verstehenden – Dialogen, schließen die beiden einen Deal mit fatalen Folgen.
Karen Ascoe, die vor drei Jahren schon in »Strangers on a Train« im English Theatre gastierte, und Daniel Burke bei seinem Frankfurt-Debüt, tragen unter der Regie des Charaktermagiers Tom Littler einen vom ersten Auftritt an packenden Fight über drei Runden (bei einer Pause) aus, der vom subtilen Sound-Design Max Pappenheims brillant forciert in immer surrealer werdende Bahnen gerät. Zwei beindruckend changierende Schauspieler, glänzend von Littler in Szene gesetzt, lassen das Corona-bedingt flugs von der To-do-Liste in den Spielplan aufgenommene Stück zu einem Glücksfall werden. Don’t miss!

Winnie Geipert (Foto: © M. Kaufhold)

Bis 8. November: Di.– Sa., 19.30 Uhr; So., 18 Uhr
www.english-theatre.de

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