»Die reine Leidenschaft« in den Opelvillen Rüsselsheim

»Amateurfotografie« ist nach Wikipedia »die Erstellung von fotografischen Aufnahmen als Hobby, also ohne Gewinnerzielungsabsicht“. Das ist das eine. Aber Amateurfotografie ist natürlich noch viel mehr: Amateurfotografie ist Subjektivismus, ist Obsession, ist das Gegenteil von Objektivität. Insofern ist sie auch »extrem«. Und so ist es treffend, dass das RAY-Festival Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain, das sich diesmal dem Thema EXTREME verschrieben hat, als Partnerprojekt eine Ausstellung präsentiert, die sich ganz der Amateurfotografie widmet.
»Die reine Leidenschaft« heißt die Schau in den Opelvillen Rüsselsheim. Der Titel ist gut. Er sagt schon fast alles: Die vier Fotografen, die hier zu sehen sind, sind obsessive, leidenschaftliche Knipser. »Vielleicht ist die wahre, totale Photographie … ein Haufen von Bruchstücken privater Bilder, vor dem zerknitterten Hintergrund der Zerstörungen und der Krönungen.« So hat Italo Calvino die Relevanz des privaten Bildes einmal beschrieben, das nicht nur für die Soziologie von besonderer Bedeutung ist, wie die Ausstellung in Rüsselsheim wieder einmal zeigt.
Nein, das Amateurbild hat auch eine besondere Ästhetik, wie die von Dr. Beate Kemfert kuratierte Zusammenstellung der Werke vier bislang unbekannter Fotografen vor Augen führt. Sie sind eben keine »Saisonkonformisten«, wie es der Soziologe Pierre Bourdieu ausgedrückt hat. Amateurfotografie ist nicht nur funktional. Im Gegenteil: Die Bilder dieser Ausstellung sind auch von ungewöhnlich ästhetischem Reiz.
Da sind die inszenierten Selbstporträts des Piloten Axel Herrmann (1946–2010), die er von sich und seiner Frau in fernen Ländern aufgenommen hat. Oder die leuchtenden Farbbilder von Eugen Gerbert (1923–1995), die ebenfalls eine Liebesgeschichte erzählen. Nämlich jene zwischen dem Fotografen selbst und seiner Frau Gerti. Eine Liebesgeschichte in analogen Bildern, die vierzig Jahre lang währt: Von der Heirat bis zum Tod des Bundesbahnbeamten.
Peter Damann, geboren 1936, hat ebenfalls sein ganzes Leben fotografiert. Seit den 60er-Jahren hat er seine Familie ins Bild gebracht. Es entstanden tausende von Fotografien seiner Frau, seiner Kinder, seiner Eltern und verschiedener Verwandter. Eine berührende Auswahl davon ist nun in Rüsselsheim zu sehen.
Auch die Fotografien von Vasilii Lefter (1943–1982) waren bisher noch nicht ausgestellt, obwohl sich Lefter das immer sehr gewünscht hatte. 25 Jahre lagerte das Werk des Hobbyfotografen, der im Ministerium für Bauwesen in Chisinau in Moldawien gearbeitet hatte, auf dem Balkon seiner Tochter: Bilder, die während der Zeit der Sowjetunion in moldauischen Dörfern entstanden sind. Schwarzweißfotografien von Dorfbewohnern, die er selbst im heimischen Badezimmer entwickelt hatte. Auch sie sind wundervolle Zeugnisse einer »reinen«, intimen Leidenschaft, wie sie der Amateur im gleichen Maße besitzen kann wie ein Künstler. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr: Wir stehen vor diesen Bildern und sind ergriffener als in vielen Ausstellungen zeitgenössischer Fotokunst.

Marc Peschke (Foto: © Tatiana Fiodorova)
Die reine Leidenschaft.
Amateurfotografien von Peter Dammann, Eugen Gerbert, Axel Herrmann und Vasilii Lefter
Bis 29. Juli: Mi.–So. 10–18 Uhr,
Do. bis 21 Uhr
www.opelvillen.de
www.ray2018.de

Zur Ausstellung sind vier Foto-Hefte in der Reihe »Lost&Found« bei Hartmann books erschienen.
Für die Dauer der Ausstellung lädt die Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim ein, jeden Mittwochabend ab 19 Uhr Privatdias zu zeigen. Die wechselnden Dia-Abende stehen allen offen. Anmeldung: info@opelvillen.de. Für alle Zuschauer kostet die Teilnahme am Dia-Abend 8 € Eintritt pro Person inklusive Gang durch die Ausstellung, Salzgebäck und einem Glas Wein.

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