Die Liberale aus New York: »Die Frau, die vorausgeht«von Susanna White

New York im Frühjahr 1889: Die Kunstmalerin Catherine Weldon will den berühmt-berüchtigten Häuptling Sitting Bull porträtieren, und wenn sich eine Frau etwas in den Kopf gesetzt hat, ist sie schwer davon abzubringen. Mrs. Weldon macht da keine Ausnahme. Mit ihren romantischen Vorstellungen von den Indianern und deren Naturverbundenheit kann sie als Pionierin der aktuellen Natur- und Frauenpowerwelle gelten, und von Jessica Chastain wird sie mit all ihrem Starrsinn glaubwürdig verkörpert.

Ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes bricht sie mit dem konventionellen Leben in New York, was Susanna Whites Film »Die Frau, die vorausgeht« in einer Szene sehr schön auf den Punkt bringt: die Witwe wirft das Porträt ihres Mannes in den Hudson River. Mit ihrer völlig unpassenden städtischen Kleidung bricht sie nach North Dakota auf, wo der einst in der Schlacht bei Little Big Horn siegreiche Sitting Bull in einem Reservat lebt.
Schon in der Eisenbahn erregt sie als Alleinreisende Aufmerksamkeit, und am Ziel angekommen, wird sie von den Soldaten dort als Indianerfreundin und Spionin angefeindet, die vom wahren Charakter der Indianer keine Ahnung hat. Man schimpft, wieder ganz aktuell, auf die New Yorker Liberalen.
Besonders heftig angegangen, aber auch gewarnt, was man der Gerechtigkeit halber erwähnen muss, wird sie von Colonel Silas Groves (Sam Rockwell). Rockwell spielt gewissermaßen die historische Variante der Rassisten Dixon aus »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, wofür er mit dem Nebenrollen-Oscar ausgezeichnet wurde. Wie er dort auf die entschlossene Frances Dormand trifft, hat er es jetzt mit einer nicht minder zielstrebigen Jessica Chastain zu tun.
Auch der älter gewordene Sitting Bull ist mit dem aus einer kanadischen Ureinwohner-Familie stammenden Michael Greyeyes bestens besetzt. Als er ein Honorar für sein Modellstehen verlangt, staunt Weldon nicht schlecht. Und er verlangt eine stattliche Summe, als Vorsorge für die Rationskürzungen, die den auf staatliche Versorgung angewiesenen Indianern drohen, wie wir später erfahren werden. Auch die Sitzungen für das Porträt gestalten sich nicht einfach, prallen doch zwei starke Charaktere aufeinander. Aber die furchtlose Malerin imponiert dem Häuptling, der sie Woman Walks Ahead (so auch der Originaltitel des Films) nennt.
Die Inszenierung gibt ihrer Beziehung einen leicht erotischen Unterton, übertreibt es aber glücklicherweise nicht. Denn sie konzentriert sich auf die Situation der Indianer, auf ihre Kultur, die nur von der Malerin akzeptiert wird. Willkommenskultur ist sowohl bei den Indianern, die um ihre Existenz kämpfen, als auch bei den Siedlern und Soldaten, die als Eindringlinge das Land besetzt haben, ein Fremdwort, und im Film ist von der Brutalität auf beiden Seiten die Rede. Interessant und durchaus als aktuelle Anspielung zu verstehen ist Sitting Bulls Bemerkung, dass die Weißen mit ihrem Ackerbau die Erde ruinieren. Fracking und Monsanto/Bayer versetzen ihr noch den letzten Todestoß, möchte man ergänzen.
Die TV-erfahrene Egländerin Susanna White hat bisher zwei sehr unterschiedliche Kinofilme gedreht. »Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer«. war eine witzige Erziehungskomödie, »Verräter wie wir« die spannende Verfilmung eine Agententhrillers von John le Carré. Ihr neuer Film nach einer wahren Begebenheit (die Protagonistin hieß allerdings Caroline Weldon) balanciert dagegen zwischen persönlicher Entwicklungsgeschichte und deren politischem Hintergrund. Auf den nächsten Film dieser variantenreichen Regisseurin darf man gespannt sein.

Claus Wecker (Foto: © Tobis)
DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT
(Woman walks ahead)
von Susanna White, USA 2017, 101 Min.
mit Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds, Rulan Tangen, Chaske Spencer
Drama
Start: 05.07.2018

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