Das Theater Willy Praml spielt »Der Feind« von Julien Green

Wenn man es nur einer einzigen Kompanie zutrauen würde, Philosophie in Theater zu verwandeln, dann ist es das Theater Willy Praml. Und während man in den Zuschauerräumen Rhein-Mains sitzt und hofft, dass auf der Bühne erkenntlich würde, warum eine Regisseurin, ein Regisseur dieses Stück inszeniert und kein anderes, sie/er Ideen in konzentrierte Erzählraume ohne aufgedonnertes Bühnenbild verwandelt und der Verführung entgeht, die reizüberflutete Sinnentleertheit der Welt mit einer reizüberflutenden sinnentleerten Aufführung zu doppeln, umschifft Michael Weber in seiner Bühnenfassung von Julian Greens »Der Feind«“ elegant diese Falltüren. Alle.
Und er hat sich wahrlich kein einfaches Stück, keinen einfachen Autor erwählt. Der 1900 in Paris geborene, von Walter Benjamin überschwänglich gelobte und mit Preisen überhäufte US-amerikanische Schriftsteller lebte bis zu seinem Tod 1998 in Paris, fast ein Jahrhundert also, und durchmaß literarisch Höllen. Die Hölle der Sexualität und der Abstinenz, die der Askese, des Glaubens, des Fremden in einem Selbst, des unbekannten Ichs, des beständigen Ringens um Wirklichkeit und Wahrheit. Trotz dieser »ewigen« Themen ist er auf den Bühnen kein ständiger Gast. Vielleicht, weil er zu »theoretisch« ist? Denn auf welche Suche geht man bei Julien Green? Hinter seinen Stücken verbirgt sich der Umbruch und Zerfall von alten Systemen durch Kriege und Revolution. Sie sind der Hintergrund, vor dem die Figuren um säkulares, emanzipiertes neuzeitliches Denken und Leben ringen, darum, dass ein Leben einen Sinn in sich selbst trägt und nicht zwingend einen überirdischen Sinn braucht, um in der Welt glücklich leben zu können.
»Der Feind« nun handelt vom Kampf und gleichzeitig dem Bündnis mit inneren Dämonen, mit Gott, mit dem Teufel, er wühlt sich in barocke Mysterien hinein und in dunkle Romantik, das Doppelgängermotiv ist präsent ebenso wie der historische Rahmen kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution. Die Überlebtheit des dekadenten Adels, eine Anordnung wie in Choderlos de Laclos‘ »Gefährliche Liebschaften«, durchtränkt von der Emanzipation einer Frau, die eigentlich »fallen« soll. Dazu die Freud`sche Trias vom Ich, dem Es und dem Über-Ich, ohne dies jemals zu benennen. Volles Programm also. Und kein einfaches.
Michael Weber bändigt diese geheimnisvolle Fülle in ein strenges Koordinatensystem von Laufstegen quer durch die gesamte Halle, unterlegt mit der barocken Geometrie der Musik von Michael Nyman zum »Kontrakt des Zeichners«. Das Labyrinthische der Handlung bannt er durch hintereinander gestaffelte Vorhänge aus prachtvollen Seidenstoffen, die quer über die bespielte Bühne gespannt sind und bei Bedarf fallen gelassen und wieder hochgezogen, aber auch diagonal gegeneinandergestellt werden können, so dass sie wirken wie ein von Fahnen gerahmter Schlossaufgang. Das ist ungeheuer theatralisch, im besten Sinne. Was hier auch gleich erwähnt werden muss, ist der Schleef’sche, leicht verschleppte Sprechmodus, der die Schauspieler*innen zu einer hohen Sprachkultur verpflichtet – eindeutig ein Quell der Freude im Zuschauerraum.
Dieses Zusammenspiel aus Geometrie und Ordnung, die Vorhänge, die brennenden Fackeln, sie lassen umso mehr Platz für sinnverwirrendes Chaos, Glaubensbekenntnis, lodernde Gefühle. Was verbirgt sich, was liegt offen? Philippe Silleranges (Muawia Harb) ist seit einem tragischen Unfall nicht mehr in der Lage, seine schöne Frau Elisabeth (Anna Staab) zu befriedigen, weshalb er ihre Liaison mit seinem Bruder Jacques (Jakob Gail) (er-)duldet. Sie ist (stets in Hosen gewandet) diejenige, welche der verlogenen Abgefeimtheit der höfischen Welt mitsamt ihren hohlen Ritualen zu entfliehen sucht, indem sie sich in affektiertes Lachen rettet, den Geliebten demütigt und Wahrhaftigkeit ausgerechnet in Pierre (Sam Michelson) entdeckt, der aus einem Kloster an den väterlichen Hof Silleranges geflohen ist. Und er, der arrogante Klosterbruder mit einer offenbar verlotterten Vergangenheit, versucht nun, durch einen Pakt mit dem Teufel Elisabeth zu seiner Geliebten zu machen. Schade nur, dass sie ihn auch liebt – er hätte den Teufel gar nicht bemühen müssen. Das Verbindende zwischen ihnen nährt sich scheinbar aus der Ablehnung der höfischen Konventionen, wobei Elisabeth die weitaus Plausiblere und »Vollendete« bleibt. Sie ist die Einzige, die das Koordinatensystem aus Laufstegen verlässt; Pierre, der sich zu Beginn so akrobatisch, so wunderbar dekorativ in Silberpailettenshorts und Mönchskutte (Kostüme: Paula Kern) aus der Tiefe des Raumes in den Vordergrund hat rollen lassen, verlässt es nicht.
Den Text überführt Michael Weber auch in zärtlich-sanfte Körperbilder, selbst wenn der Sinngehalt gerade etwas ganz anderes behauptet. Diese Zeichen sind ganz sparsam gesetzt. Elisabeth schmiegt sich an Jacques, an Pierre, aber auch Jacques und Philippe vollziehen die Bewegungen von Pierre nach, er ist ein bisschen Terence Stamp in Pasolinis »Teorema«: eine Projektionsfläche. Dass die Liebe ein kleiner Tod sei: hier ist der Orgasmus Elisabeths ganz ähnlich inszeniert wie der Tod ihres Geliebten.
»Was ich an der Psychoanalyse immer merkwürdig und anziehend fand: sie vertieft viel eher das Geheimnis der Seele, als dass sie es eigentlich erhellte. Je tiefer sie geht, umso tiefer wird das Dunkel«, schreibt Julian Green in seinen Tagebüchern.
Ist nicht genau dies auch der hypnotische Reiz dieser richtig geglückten Inszenierung?

Susanne Asal / Foto: © Seweryn Zelazny
Termine: 5., 6., 7., 12., 14. Juli, 20 Uhr
www.theaterwillypraml.de

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