Andreas Pflügers Trilogie »Endgültig«, »Niemals« und »Geblendet« jetzt als Taschenbuch

Wir Kritiker sind verwöhnt. Für uns existiert eine Hardcover-Welt, die viele normale Leser nur ausnahmsweise betreten. Sie lernen Autoren dann kennen, wenn sie im Taschenbuch erscheinen – fast jede Lesesozialisation hat damit begonnen, für viele ist und bleibt es die einzig erschwingliche Art des Lesens. Deshalb denke ich oft: Verachtet mir die Taschenbuchausgaben nicht, auch wenn die Rezensionskarawane schon längst weitergezogen ist.

Die Welt, von dieser Perspektive aus betrachtet, ist eine andere als die der Feuilletons. Fanfare deshalb für ein Großereignis: »Geblendet«, der dritte Band der Jenny-Aaron-Trilogie von Andreas Pflüger liegt jetzt als Taschenbuch vor. Das ist in der Tat ein Meilenstein. Er ist bei Suhrkamp der erste Autor im Hauptprogramm, auf dessen Titel nicht »Roman« steht, sondern »Thriller«. Das will etwas heißen.

Ein wirklicher Thriller im ursprünglichen Verständnis, das bedeutet Feinmechanik vom Schwierigsten, daher ist es ein ziemlich aus der Mode gekommenes Romanhandwerk. Es gibt schlicht nicht genügend Uhrmacher – oder Autoren, die sich eine solche Arbeit machen, wo man doch über ein- oder zweipersonale Befindlichkeit und ein paar eingestreute Rückblenden auch ein Buch vollkriegt. Man muss ein sehr guter Autor sein, perfektionistisch, mit Auge für die kleinsten Details, die Schönheit der Nebensachen und die Mechanik der Federkräfte, mit Sinn für Psyche und Physis seiner Figuren und ihrer interaktiven Kräfte, man muss ständig die haushohen Klippen der Klischees zu umsteuern wissen und – am wichtigsten – eine Geschichte zu erzählen haben, die mehr als nur packt. Thriller, das ist die spannendste Art der Literatur, die es gibt.

Deshalb gibt es sie so selten.

Deshalb kehre ich lieber immer wieder zu Adam Hall zurück, einem Meister des Situativen (lange her, dass er veröffentlicht wurde). Oder eben, moderner: zu Pflüger, dem besten lebenden Thriller-Autor der Welt. Dies, weil bei ihm Plot und Dialoge funkeln, jeder Satz Klavierdraht, die Geschichten geschliffen wie Diamanten, und zwar Kronjuwelen-Klasse: Koh-i-Noor. 108,93 Karat. Beträchtlicher literarischer Mehrwert kommt hinzu. Pflüger liebt expressionistische Lyriker ebenso wie Mangas und Actionfilme, holt Victor Hugo ins 21. Jahrhundert. »Endgültig«, »Niemals«, »Geblendet« heißen seine Romane mit der blinden Elitepolizistin Jenny Aaron in Reihenfolge. Aaron gehört zu einer nur »Die Abteilung« genannten Sondereinheit, der Bad Bank der deutschen Polizei- und Sicherheitsorgane, die »dorthin geht, wo der Einsatz anderer Kräfte nicht zielführend wäre« und in Berlin Mitte als »Institut für Gesellschaftsanalyse« vier Stockwerke belegt. (Ja, Humor, saukomischen sogar, hat Pflüger auch.)

Aaron ist eine Heldin, die an ihrer Blindheit wächst und uns die Welt ganz anders sehen lässt. Eine Heldin, die stärker als viele ist, weil sie nach dem »Bushido« lebt, dem Ehrenkodex der Samurai. Eine Heldin, die eines Tages vielleicht wieder sehen kann, dazu aber jeden Adrenalinschub in ihrem Körper vermeiden müsste – alle Gefahr und Aktion also. Natürlich aber türmt sich Gefahr auf Gefahr und Aktion auf Aktion, und dann begegnet sie einer Frau, die als Kämpferin noch stärker ist als sie. Sozusagen ihrer bösen Schwester. Ihrem dunklen Spiegel. Das Ende von »Endgültig« ist schlicht feuerwerkswürdig und entlässt eine der bemerkenswertesten Romanfiguren der letzten Dekade in den literarischen Olymp. Jenny Aaron wird bleiben, als Figur. So wie Philip Marlowe.

Alf Mayer

Andreas Pflüger:
Geblendet. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021 (HC 2019). Taschenbuch, 508 Seiten, 11 Euro.
Niemals. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019 (HC 2017). TB, 472 Seiten, 10 Euro.
Endgültig. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017 (HC 2016). TB, 458 Seiten, 10 Euro.

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