Zur Karriere von James Lee Burke

Ein langer, staubiger Weg

Der Erfolg kam spät im Leben von James Lee Burke. Seine erste, sogleich gerühmte Erzählung erschien, als er 19 war, seinen ersten Roman beendete er 1960, wenige Wochen nach seinem 24. Geburtstag. So lange ist er schon Schriftsteller – mehr als 55 Jahre lang, im Dezember 2016 wird er 80 Jahre alt. Verknorzt und von der Sonne verbrannt, ist er viel an der frischen Luft, entweder in Louisiana nahe New Orleans oder auf seiner Ranch in Montana. Immer noch schreibt er sechs Tage die Woche (Stand August 2016; Ende des Monats erscheint sein 35. Roman, »The Jealous Kind«). Seine Arbeit nennt er in Anspielung auf seine Herkunft aus den Südstaaten, „Baumwolle pflücken“. In einer unserer Mailkorrespondenzen ergänzte er: »Wenn ich ein Buch fertig habe, kann ich vielleicht zwei Wochen ohne Schreiben auskommen, aber dann fange ich wieder an.«
Jetzt bringt der Pendragon-Verlag aus Bielefeld die wichtigste literarische Serie von James Lee Burke heraus, die in Deutschland nie vollständig erschienen ist. In einer Mischung aus Neuübersetzungen und Überarbeitungen werden das (irgendwann) zwanzig Romane sein – ihr Held, der New Orleans-Detektiv Dave Robicheaux, eine der ganz großen Figuren der Kriminalliteratur. Der Titel von Burkes erstem Roman lautete »Half of Paradise« (»Die Hälfte des Paradieses«, liegt nicht übersetzt vor). Es dauerte fünf Jahre, ehe der in Louisiana spielende Roman einen Verlag fand. Die Houghton Mifflin Company in Boston brachte ihn am 1. Januar 1965 heraus. Mit 34 hatte James Lee Burke bereits drei Hardcover-Romane auf dem Markt, aber dann kam die große Dürre. Ehe er die erste Hälfte seines Schriftstellerparadieses erreichte, dauerte es noch gut 25 Jahre.
Ein Ölarbeiter in Geldnöten, der wegen Whiskeyschmuggels im Gefängnis landet, ein rauschgiftsüchtiger Bluessänger, ein farbiger Dockarbeiter in New Orleans, der sich seine Hand verletzt, in kriminelle Machenschaften gerät und im Gefängnis zu Grunde geht, das sind die drei Hauptpersonen von »Half of Paradise«. In der »New York Times« wurde Burkes Debütroman mit den Werken von Hemingway, Sartre, Camus und dem frühen Faulkner verglichen. Burkes zweiter Roman, »To the Bright and Shining Sun« erschien 1970 bei Scribner‘s in New York. Zur hell aufscheinenden Sonne ist es für den jungen Bergwerksarbeiter Perry Woodson Hatfield James aus mehreren Gründen weit. Seine brutale Welt ist die der Kohlezechen in den Cumberland Mountains im hintersten Kentucky, Schauplatz der blutigsten Arbeitskämpfe der Vereinigten Staaten, wo die Grenzen zwischen Streikenden und Streikbrechern, zwischen der Sehnsucht der Jugend nach Freiheit und der Bürde alter Familienfehden verlaufen. Auch Buch Nummer drei, »Lay Down My Sword and Shield«, erschien in einem Westküstenverlag. Der in einem lyrisch beschriebenen Südwest-Texas angesiedelte Roman hat den traumatisierten Korea-Veteran Hack Holland zum Mittelpunkt, er wird von Frau, Bruder und seinen alten Freunden aus der Ölindustrie dazu gedrängt, in die Politik zu gehen. Er selbst würde lieber einfach weiter trinken, sich um seine Pferde kümmern und ab und zu einen Pro-bono-Fall als Rechtsanwalt übernehmen. Als er einem Kriegskameraden helfen will, gerät er mit den Mächtigen aneinander und mitten in deren Konflikt mit den sich organisierenden mexikanischen Landarbeitern. Er verliebt sich in eine Frau, die für das »United Farm Workers Movement« spricht, und er beginnt, sich für die Schwachen einzusetzen.
Nach diesen drei Romanen war Sendepause, obwohl James Lee Burke unverdrossen weiterschrieb, Aber von 1971 bis zum 28. November 1986 brachte er keinen Hardcover-Roman mehr unter. Während in den USA die Präsidenten Nixon (1969 – 1974), Gerald Ford (1974 – 1977), Jimmy Carter (1977 – 1981), Ronald Reagan (1981 – 1989) regierten, schlug James Lee Burke sich mit allerlei Gelegenheitsjobs durch. Seine Frau Pearl, eine Bibliothekarin, mit der er bis heute zusammen ist, hatte er jung geheiratet, bald gab es vier Kinder zu versorgen. 1955 bis 1957 hatte er an der University of Southern Louisiana at Lake Charles studiert, 1959/60 seinen Bachelor in englischer Literatur an der »University of Missouri« gemacht. Als Englischlehrer kehrte er an die »Southwest Louisiana« zurück, bekam dann aber keine Verlängerung seines Lehrauftrags. 1962 bis 1964 arbeitete er als Sozialarbeiter auf der Skid Row von Los Angeles, war für kurze Zeit Reporter in Lafayette und jobte dann 1965/66 als Schweißer bei einer Öl-Pipeline in Texas, als Landvermesser in Colorado, als Öl-Makler in Lousiana und als Lkw-Fahrer beim United State Forest Service, gab im Kohlengürtel von Kentucky Englischkurse. An insgesamt fünf US-Colleges lehrte er kreatives Schreiben, darunter in Missoula/Montana, in Wichita/Kansas und am längsten in Miami am Dade Community College, wo sein ebenfalls dort jobbender Kollege Charles Willeford zu einem guten Freund wurde. Das Geld war immer mau, knapp auch wegen seiner Trunksucht, die er erst ab 1977 zu besiegen begann. Nach über hundert Ablehnungen für seinen Roman »The Lost Get-Back Boogie« hörte er auf den Rat seiner Frau, wechselte seinen Agenten und klopfte bei seiner alten Universität an. Die brachte am 28. November 1985 einen Band mit Erzählungen (»The Convict And Other Stories«) und ein Jahr später am 28. November 1986 dann »The Lost Get-Back Boogie« heraus, der sogleich eine Nominierung für Pulitzerpreis erhielt, Amerikas höchsten Literaturpreis. Kurz zuvor hatte Burkes neuer Agent – dem er bis heute die Treue hält – den Kriminalroman »Neon Rain« als Hardcover bei St. Martin’s in New York untergebracht. Der Bann war gebrochen. »Neon Rain« erschien am 1. März 1987.
»Ich bin Lieutnant Dave Robicheaux vom New Orleans Police Department«, mit diesen Worten im zweiten Absatz von »Neonregen« stellte sich ein Erzähler vor, der uns mit ins Staatsgefängnis von Angola, Louisiana, nimmt und uns in eine Geschichte verwickelt, die bis heute nicht zu Ende erzählt ist. Insgesamt zwanzig Romane mit Dave Robicheaux sind es inzwischen geworden, eine der ganz großen Reihen der Kriminalliteratur. Beim Erscheinen von »Neonregen« – der nun in einer Neuausgabe vorliegt – war James Lee Burke einundfünfzig Jahre alt. Schnell folgten »Heaven’s Prisoners«, mit Alec Baldwin in der Hauptrolle verfilmt, und dann »Black Cherry Blues«, für den es 1990 einen »Edgar« gab. Das war der Durchbruch, und Burke konnte ab nun vollberuflich schreiben. »Mississippi Jam« (Pendragon Verlag, 2016), der siebte Dave-Robicheaux-Roman, war sein erster Titel auf der Bestsellerliste der »New York Times«.
Robicheaux, das sagte mir Jim auf Nachfrage, ist für ihn der Jedermann aus den Moralstücken des Renaissance-Theaters. »Er versucht denen eine Stimme zu geben, die keine haben. Er versteht die kleinen Leute. Und er hat einen sechsten Sinn für das, das geschehen wird – auch das Schlimme –, aber er kann es nicht verhindern. Er repräsentiert, was ich am meisten bei Menschen bewundere, nämlich Mut. Er hat das Herz auf dem richtigen Fleck.«
In »Neonregen« verknüpft James Lee Burke die geheimen Waffenlieferungen der CIA an die mittelamerikanischen Contras und die dortigen Massaker mit dem Vietnamkrieg und mit My Lai. Die Morde an amerikanischen Ordensleuten gab es tatsächlich. Der Roman erschien, bevor die sogenannte Iran-Contra-Affäre öffentlich wurde. James Lee Burke wusste von den Hintergründen durch seine Arbeit bei Amnesty International und fand einen Kriminalroman das richtige Medium, so etwas öffentlich zu machen. Das hält er bis heute so. Bei ihm ist der Kriminalroman politisch – und poetisch schön.

Alf Mayer (Foto: © Robert Clark)
James Lee Burke: Neonregen (Neon Rain, 1987). Bielefeld: Pendragon Verlag, 2016. 430 Seiten, 17  Euro. Ebenfalls dort erschienen: »Mississippi Jam« und »Sturm über New Orleans«.

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