Waste Land (97)

1. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von »Brot für die Welt«, klagte in einem Gastbeitrag in der FR darüber, dass zwar ein Aufschrei des Entsetzens durch die Welt ging, als die ISIS-Verbrecherbande Christen im Nahen Osten verfolgte und ermordete, nicht aber angesichts der »vergleichbaren« Not der Palästinenser im Gaza-Streifen. Lag das vielleicht daran, dass die verfolgten Christen niemandem etwas angetan hatten und auch für niemanden eine Bedrohung darstellten, während Palästinenser aus dem Gaza-Streifen über 3.000 Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung schossen (das sind Kriegsverbrechen), bevor Israel – nach zahlreichen vorausgegangenen Warnungen – Gaza angriff?

2. Alexander Haneke lobte in der FAZ die Herren Schrimm und Wal-ther, aufgrund von deren segensreichem Tun erneut der Prozess gegen John Demjanjuk u.a. alte »Nazi-Verbrecher« möglich geworden sei. Der Richter im Ruhestand, Thomas Walther, so steht es genannten Artikel, »besann sich auf sein Strafrechtswissen aus dem Studium« (!?) wonach »Beihilfe begeht, wer die Haupttat willentlich fördert«. Alle anderen Juristen, die mit derartigen Fällen befasst waren, sind offenbar zu dumm oder zu ignorant gewesen, solche Sätze richtig anzuwenden. Es sei dabei auch kein juristisches Neuland beschritten, bestehende Gesetze nur konsequenter ausgelegt worden – so heißt es im Artikel.
Aber: erstens wird die Einrede des »Befehlsnotstandes« nicht mehr gewährt, das heißt die durch Befehlsverweigerung entstehende Gefahr für das eigene Leben. Zum anderen ist das Problem des zitierten Satzes das Wort »willentlich«. Darin steckt die gute alte persönliche Schuld, die es nachzuweisen gilt. Da dies oft schwer bis unmöglich ist, wählte die Anklage gegen Demjanjuk 2011 in München einen Umweg, der quer durch wüstes Neuland führte und auf den besser niemand stolz sein sollte. Sie ließ zuerst jede Menge Zeugen auffahren, die die schlimmen Zustände in Sobibor beschworen, dann ließ sie die Echtheit der Papiere, die Demjanjuk als Wachmann in Sobibor auswiesen, bezeugen und argumentierte anschließend, daß jeder, der in Sobibor gearbeitet habe, durch seine Anwesenheit bereits schuldig geworden sein müsse, sonst hätte er ja flüchten können. Dem folgte – leider – das Landgericht München. Bevor der Prozess in Berufung gehen konnte, starb der Delinquent im Gefängnis.
Und das soll Recht sein?
Ich bin ja sehr dafür, dass Nazi-Verbrecher an der höchsten Rahe aufgeknüpft werden, lege aber den allergrößten Wert darauf, dass eines jeden Angeklagten Schuld über jeden vernünftigen Zweifel hinaus bewiesen wird.
Die Pensionäre Schrimm und Walther sollten sich an einen anderen Satz aus ihrer Studienzeit erinnern: ein Rechtsstaat läßt eher zehn womöglich Schuldige laufen als zu riskieren, dass ein womöglich Unschuldiger gehängt wird.

Kurt Otterbacher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert