»Victoria« ab 11.6.2015 im Kino!

»Victoria«Außer Atem in Berlin

»Victoria« von Sebastian Schipper

Mut gehört schon dazu, einen Film in einer Einstellung zu drehen, in einem Lauf, sollte man besser sagen. Hat doch das Wort Einstellung etwas Statisches, und »Victoria«, Stefan Schippers neuer Film, der auf der Berlinale seine Premiere feierte, ist alles andere als statisch. Der Film ist atemlos – so atemlos wie kein deutscher seit »Lola rennt«.

Hämmernde Beats und schummriges Licht. In einem Berliner Club tanzt ein junges Mädchen (Laia Costa) selbstvergessen. Allein bewegt sie sich auf der Tanzfläche, allein geht sie auf die Straße. Es ist kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, als sie von vier Halbstarken angesprochen wird. Vier »echte Berliner Jungs«, wie sie betonen. Alle quatschen einen schwer erträglichen Mist, deutsch zuerst, dann gebrochenes Englisch, als sie merken, dass die Spanierin Victoria kaum deutsch versteht. Warum steigt sie nicht auf ihr Fahrrad und fährt davon? Schließlich hat die Situation auch etwas Bedrohliches, wenn die vier jungen Männer sie umringen, auf sie einreden, mal kurz mit ihrem Rad fahren wollen. Doch Victoria, die noch nicht lange in Berlin lebt, hat keine Freunde und fühlt sich einsam.
Kaum zu glauben, dass ein Drehbuch existiert, noch dazu eines, für das drei Autoren (Schipper, Olivia Neergaard-Holm, Eike Frederik Schulz) genannt werden. Man denkt wehmütig zurück an die witzigen Dialoge in »Absolute Giganten«, Schippers Debütfilm über Hamburger Jungs.
Weiter geht’s von der Straße die Treppen hoch auf die Dachterrasse eines Apartmenthauses. Zwischen Sonne (Frederick Lau) und Victoria scheint es zu funken. Als sich die beiden von den anderen absetzen, als Victoria Sonne von ihrem abgebrochenen Klavierstudium erzählt und ihm den Mephisto-Walzer von Liszt vorspielt, endet sein nerviges Gehabe. Doch die Gruppe taucht wieder auf, ein Banküberfall steht an, weil Boxer (Franz Rogowski) noch eine offene Rechnung aus Knast-Tagen zu begleichen hat. Einer der Jungs macht schlapp, und Victoria springt als Fahrerin ein. Nun wird aus dem »Coming of Age«-Film ein Thriller. Die Kamera, die zu Beginn die Figuren umkreist hat und dabei zur sechsten Person geworden ist, steigt mit ins Auto. Bleibt dort beim  Banküberfall,  ist aber bei Flucht und Verfolgung wieder dabei.
Überragend, bis zum Schluss nach 140 Min., ist die Handkamera des Norwegers Sturla Brandt Grøvlen, der, vermutlich in Erinnerung an die Proben, stets den »richtigen« Bildausschnitt findet. Auch wenn man eine hektische Handkamera nicht schätzt, seine furiose Jagd durch das morgendliche Berlin ist mitreißend und wurde zu Recht mit dem Silbernen Bären belohnt. Einmal, im Hausflur, wird das Bild ganz dunkel. Da könnte ein Schnitt gewesen sein. Aber was soll‘s. »Victoria«, dieses gelungene Experiment, ist ein packendes Kinostück.

Claus Wecker
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VICTORIA
von Sebastian Schipper, D 2015, 140 Min.
mit Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, Burak Yigit, Max Mauff, André M. Hennicke
Drama
Start: 11.06.2015

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