»Treppe aufwärts« von Mia Maariel Meyer

In der Abwärts-Spirale

Was den deutschen Film zwischen Förder-Dschungel und -Restriktion auf der einen, Fernseh-Abhängigkeit auf der anderen Seite anbelangt, lässt sich wohl nur mit Kurt Tucholsky argumentieren: Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es. Also ein paar namhafte Schauspielerinnen und Schauspieler um ein interessantes Projekt versammeln, das durch die Raster des Betriebs fallen muss, Geld per Crowdfunding zusammenbringen, Freunde und Sympathisanten einsetzen, Budget und Gagen minimieren und – machen. Do it yourself!

So ist zum Beispiel dieser Film entstanden. Ein Drei-Generationen-Drama um die schwere soziale Erbschaft der Spielsucht oder, weiter gefasst, um einen von vielen Wegen, die aus dem mittleren Mittelstand direkt ins soziale Aus führen.
Adam (Hanno Koffler) spielt nach außen den Taxifahrer, verbringt seine Zeit aber an Spielautomaten in den Kasinos, wo er die maschinellen Banditen vermittels eines Computerprogramms austrickst, um Tag für Tag ein wenig von dem zurückzubekommen, was sein Vater Woyzeck (Christian Wolff) in einem an die Spielsucht verlorenen Leben in ihnen gelassen hat. Das Glück der Familie, die Zukunftsträume des Sohnes, und nun droht auch noch das heruntergekommene aber immer noch von einstigen Kleinbürgerhoffnungen zeugende Haus verloren zu gehen. Woyzeck leidet mittlerweile unter fortschreitender Demenz, in Erinnerungen an grandiose Gewinne und vollkommene Blindheit gegen die Probleme der Gegenwart, was ihn aber nicht daran hindert, immer wieder einmal abzuhauen und in seine alten Gewohnheiten zu verfallen.
Wie schwer das alles für Adam ist, das sehen wir an seinen übermüdeten Augen, seinen mechanischen Bewegungen, der Ungeschicklichkeit in der Beziehung zu der Kneipenwirtin Dosie (Karolina Lodyga), den Mühen, die es immer wieder bereitet, diese kleine Welt irgendwie zusammenzuhalten. Und als wäre das alles noch nicht genug, taucht schließlich sein sechzehnjähriger Sohn Ben (Matti Schmid-Schaller) auf. Renitent und offensichtlich schon halb an eine kriminelle Karriere verloren.
Die Abwärts-Spirale für die drei Männer dreht sich immer rascher: Ben gerät ausgerechnet an Bardo (Patrick Wolff, der auch als Produzent fungiert), der sein Geld mit einem Automatenknackprogramm verdient, und wird dessen Geldeintreiber, bis er schließlich einmal an den entschieden Falschen kommt (Ken Duken in einer Gastrolle). Die Aussichten sind wahrlich nicht gut, aber Regisseurin und Drehbuchautorin Mia Maariel Meyer (die hier ihr Debüt gibt) lässt doch, siehe den Titel, der Hoffnung noch Raum. Ohne gleich in die Übertreibungen eines Happy Ending zu verfallen.
Was für den Film einnimmt ist die distanzierte eher beobachtende als wertende Inszenierung, weit entfernt vom Problem-Behandlungs-Stil deutscher Fernsehdramaturgie. Nichts wird hier zu Tode erklärt, stattdessen lässt sich »Treppe aufwärts« Zeit auch beim Blick auf scheinbare Nebensächlichkeiten. Diese »kleine« Spielsucht, die sich auf die glanzlose Welt der Spielhallen und der Automaten in billigen Kneipen reduziert, die Menschen aller Schichten und Generationen ruiniert, ist in der Tat kein Thema für Mainstream-Produktionen und die Feelgood-Epen, mit denen wir derzeit jenseits der Tatort-Dramaturgien traktiert werden. Es ist unangenehm, es ist schäbig, es ist alltäglich, es macht auf eine zähe und unspektakuläre Weise kaputt. Und es ist wirklich da.
Dem Film sieht man die Recherche im Milieu und die Zusammenarbeit mit sozialen Diensten an (derzeit wird auch auf der Webseite der Drogenbeauftragten der Bundesregierung für den Film geworben), das ist ein Vorteil, was die Darstellung des Problems anbelangt, aber auch ein Nachteil bei der Figurengestaltung. So gut und klischeebefreit die Schauspieler auch sein mögen, so haben ihre Charaktere am Ende eben doch schweren Stand gegen das »Anliegen«. Es ist ein Film geworden, der eigentlich für ein Fernsehen, wie man es sich wünschen würde, ideal wäre, und dass es dafür keinen Platz gibt und man im Programmkino das bessere Fernsehen sehen muss, ist bezeichnend. Schön, dass es hier keinen »Helden« gibt, aber auch keinen richtigen Schurken – auch dieser Bardo, mit seiner seltsamen Zuneigung zu dem Jungen, der aufgrund der Familiengeschichte noch kein Vertrauen zu seinem Vater fassen kann, ist am Ende nur ein kleines Licht. Einer, der auch auf dem Weg nach unten ist, auch wenn er es noch nicht weiß.
Für einen »echten« Kinofilm fehlt aber dann doch ein wenig Wagemut, gibt es vielleicht doch zu viel Fernsehdeutsch in den Dialogen, macht es die Regisseurin dem Publikum doch noch um einen Kick zu leicht. Er mutet uns wahrlich nicht zu viel zu, was Schmutz, Gewalt und Hoffnungslosigkeit anbelangt. Er ist erst einen Schritt weit aus der Förder- und Fernsehfalle heraus, aber er hat sich noch nicht wirklich befreit. Denn vielleicht geht diese Abhängigkeit doch tiefer als man glaubt; es ist da ja ein audiovisueller Code entstanden, und ebenso, wie man sich ökonomisch befreien muss, muss man sich auch ästhetisch befreien, bevor aus den verschiedenen Ansätzen für ein unabhängiges und relevantes deutsches Kino auch wirklich so etwas wie ein neues Kino wird.
Wie dem auch sei: Das ist ein interessanter Film mit einer sympathischen Produktionsgeschichte und mit echten Qualitäten. Einer der wenigen Filme, die ihre Sache und ihre Zuschauer ernst nehmen. Und, hey, das ist wirklich schon eine Menge.

Georg Seeßlen
TREPPE AUFWÄRTS
von Mia Maariel Meyer, D 2015, 92 Min.
mit Hanno Koffler, Christian Wolff, Matti Schmidt-Schaller, Karolyna Lodyga, Patrick Wolff, Ken Duken
Drama
Start: 23.06.2016

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