Titania: Beatnik inszeniert Dennis Kellys Sozialthriller »Waisen«

Mit dem Skalpell gezogen

Gerade heraus, linear, das sind die Stücke des britischen Dramatikers von Dennis Kelly eher nicht. Zumindest nicht die beiden, die derzeit in Frankfurt zu sehen sind. Wie Puzzle-Teile fügen sich ihre Szenen bei ihm erst ganz allmählich zu einem Bild, von dem man am Anfang zur Orientierung nur den Titel kennt. Dass daraus am Ende ein grausiger Blick in die menschlichen Abgründe wird, hat mit »Geld und Liebe« im Keller-Theater (Strandgut 11/2017) auch »Waisen« gemeinsam, das als Koproduktion des Freien Schauspiel Ensemble mit Adrian Scherschel nun im Titania gegeben wird. Bühnenthriller sind beide Stücke ohnehin.
Und tatsächlich geht es um zwei Waisen in diesem Stück. Um die Geschwister Helen (Randi Rettel) und Liam (David Földszin), die in einem Pflegeheim aufgewachsen sind, ihre prekäre Lage aber sehr unterschiedlich meistern. Während Helen sich mit ihrem Mann Danny (Daniel Schwingel) und Kind halbwegs eingerichtet hat und nun, ein zweites erwartend, darauf hofft, die Wohnung in einem Problemviertel der Stadt verlassen zu können, kommt Liam einfach nicht auf die Beine. Unter der ruhigen, ganz seinen Darstellern vertrauenden Regie von beatnik (Scherschel) erleben wir, wie Liam blutverschmiert in der scheinbare Dämmerlicht-Idylle des Paares auftaucht. Wie die beiden, so erkennen auch wir Liams Zustand erst nach und nach. Es sei nicht sein Blut, er habe einem jungen Mann, der überfallen worden sei, wieder auf die Beine geholfen, erklärt er sein Aussehen. Bis er sich, den Fragen von Helen und Danny ausgesetzt, immer tiefer in Widersprüche verstrickt. Nach jedem der wie mit dem Skalpell gezogenen, schneidenden Wortwechsel stehen wir vor einer neuen überraschenden Situation.
Trotz des spürbar kontrollierten Tempos ist das ständig wechselnde Szenario Atem raubend, was nicht nur der Dialogkunst Kellys, sondern wesentlich auch dem pointierten Spiel der drei jungen Darsteller geschuldet ist. Immer heftiger setzt Liams impertinenter Trotz die zunächst so selbstsichere Schwester unter Druck, immer stärker – und kaum zu ertragen – bröckelt und bricht unter ihrer fast triebhaft durchbrechenden Loyalität das sichtlich mühsam errichtete eigene kleine Glück. Dabei bleiben wir nicht außen vor, konfrontiert uns Kelly doch mit unangenehm geläufigen Themen unserer Lebenswelt und Fragen des eigenen Verhaltens in dieser. Waisen, sprich: ohne Halt und Zugehörigkeit, sind am Ende alle.

gt
Termine: 27., 28. Februar, jeweils 20.15 Uhr
www.freiesschauspiel.de

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