Theaterperipherie: Candide oder der Optimismus

Theaterperipherie: Candide oder der OptimismusPlantschen mit Wasserleichen

Titania: Die Theaterperipherie präsentiert Voltaires »Candide oder der Optimismus« als Kabarett

Das Erdbeben von Lissabon (1755) und die Gräuel des 7-jährigen Krieges (1756–1763), in dem sein Ex-Gönner Preußenkönig Friedrich II einer der Hauptakteure war, boten Voltaire reichlich Material und Argumente, um in seiner beißenden Romansatire »Candide oder der Optimismus« (1760) mit dem religionstheoretischen Mumpitz von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) abzurechnen. Das Gute und das Böse hielten sich stets in göttlicher Balance, so hatte der deutsche Denker erklärt, man lebe in der »besten aller möglichen Welten«. Voltaire lässt seinen naiven Helden Candide auf einer Odyssee über den Erdball die unsäglichsten Grausamkeiten erleben und diese mit dem philosophisch durchtränkten Blick eines Leibniz betrachten. Es ist absurd, was da rauskommt, und Voltaires berühmteste Schrift.

Die überwiegend mit Laien besetzte internationale Spielgruppe der Theaterperipherie legt ihrer Candide-Version das weltweite Flüchtlingselend zugrunde, das es an Grauen mit dem literarischen Vorbild gewiss aufnehmen kann. Indem sie die dramatischen Erlebnisse als Varieté-Schau aufbereitet, toppt sie sogar den Sarkasmus des Autors. Unter der Regie von Alexander Brill ziehen sechs Schauspieler von den Soundcollagen Torsten Knolls unterlegt ein Spektakel ab, das die nur lose der Vorlage folgenden Szenen mit zum Teil erstaunlichen Kunststückchen, Jonglagen, einer Bauchrednereinlage, viel Musik und Gesang begleitet.

In der wohl eindrücklichsten Szene rudern sie als gekenterte Boat People auf roten Sitzbällen mit plantschenden Händen und geben den gedachten Wasserleichen um sie herum eine Geschichte von Navid Kermani mit auf den Weg. Hauchdünne schwebende Seidentücher setzen das erste Stelldichein von Candide und seiner Liebe Kunigunde anmutig um. Wahrlich göttlich ist der Rammstein-Auftritt des mit seiner Schöpfung zufriedenen Gottes, und packend Kleists choral vorgetragene Erzählung »Das Erdbeben von Chili«, die hier noch schwärzer als das Original angelegt ist.

Nicht nur bei diesem Sprechakt erweist sich die gewachsene Stärke des von seinem einzigen Profi, Hadi Khanyanpour, als Moderator souverän geführten selbstbewussten Ensembles. So hat Mohammad Salamt, der den Candide gibt, schauspielerisch enorm zugelegt. Eine schöne Überraschung ist nicht nur wegen ihrer schrägen »Königin der Nacht« der vitale Auftritt von Hannah Schassner. Ein, zwei kleine Längen und Holperer kann ein fetziger Abend verkraften.

Winnie Geipert
Termine: 6. Oktober, 17.30 Uhr; 9., 31. Oktober, 19.30 Uhr
Info: www.theaterperipherie.de

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