Theaterperipherie arbeitet sich an »Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran« ab

Am Wasserhäuschen der Besinnung

Aus dem kleinen Kolonialwarenladen von Monsieur Ibrahim in der Pariser Rue Bleue ist ein schmuckes Wasserhäuschen mit Langnese-Schirm, Zeitungsdrehständer, einem Stehtischchen nebst Hockern und Stechpalme geworden. Es gehört jetzt Mo, der eigentlich Moses heißt, sprich jüdischer Herkunft ist, und von Ibrahim, seinem muslimischen Ersatzvater und weisem Freund Momo genannt wurde. Im Sinne des verstorbenen Inhabers will Mo das Büdchen als »eine Insel der Ruhe und Weisheit« weiterführen.
Die nun im Titania uraufgeführte Bearbeitung von »Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran« setzt unter der Regie von Ute Bansemir dort an, wo die Erzählung Erik-Emmanuel Schmitts aufhört und hinterfragt sie mit ihrem vierköpfigen Ensemble und einem Titelzusatz »Warum das Gegenteil von Liebe nicht Hass, sondern Angst ist« zugleich. Einfach fortschreiben, erfahren wir schnell, lässt sich die von der Aura des altruistischen Arbeitsemigranten aus Ostanatolien geschaffene Idylle aber nicht.
Schon der erste Besucher (wunderbar grantg: Hadi Khanjanpour), der den Kiosk zur Zeitungslektüre frequentiert, meint sehr viel genauer zu wissen als Mo (Marcel Andrée) wie es in seinem Stammkiosk zuzugehen hat. Und weil er grundsätzlich alles besser weiß, legt er sich auch mit Mos nächster Kundin, einer recht unsortiert agierenden Frau mit der Handtasche (stark: Christin Dietzel), und erst recht mit Mos jungem Gehilfen (Ali Salman Ahmadi) an. Keine Harmonie nirgend, und schon gar keine Weisheit.
Wir erfahren nicht allzu viel über die Figuren. Der migrationshintergründige Nörgler hat eine kaputte Ehe hinter sich, die dauerquasselnde Gutfrau ist eine – mutmaßlich überforderte – Mutter. Mos aus dem Regal gepurzelter Freund dagegen irrlichtert zunächst schweigend , dann mit kryptischen Einlassungen als Lackmustext der Menschlichkeit ins Bild.
Nur im Beharren auf seine ureigene Erinnerung an Ibrahim gelingt es Mo, die Gemüter dieser losen Kiosk-Kommune in Balance zu halten. So werden dem Publikum dann doch noch die großen Stationen des kleinen Romans spielerisch im Rückblick präsentiert. In warmes, unwirkliches Licht getaucht, spielt das Quartett mit bisweilen brillanten Einfällen die Episoden nach: vom Dosenklau und Brigitte Bardots Auftritt im Lädchen bis hin zu Ibrahims Tod nach der gemeinsamen Autofahrt in die Türkei.
Sehr optimistisch für das richtige Leben im falschen stimmt die Inszenierung freilich nicht. Sie verficht dennoch entschieden das Wagnis, den Zug nach Nirgendwo zu besteigen. Getragen vom beherzten Ensemblespiel gelingt ein fast schon besinnlicher, berührender Abend voll leisen Humors, der gleichwohl manche Frage offen lässt. Aber das tun die (von Baudrillard inspirierten?) Blumen des Korans ja wohl auch.

Winnie Geipert (Foto: © Seweryn Zelazny)
Termine: 26. November, 19.30 Uhr
www.theaterperpherie.de

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