Theater Willy Praml: Heine

Willy Praml Theater: Heine (Foto: Seweryn Zelazny)Heinrich Heine – ein Happening

Das Theater Willy Praml weckt mit einem spektakulären Dichterprojekt Geister

Mit der Begrüßung der »guten, alten Mauern« in der Ruinenlandschaft des Museums Judengasse hebt dieser wahrhaft denkwürdige Abend um Deutschlands großen Romantiker an. Acht Schauspieler des Willy-Praml-Ensembles deklamieren die Passage aus Heinrich Heines einzigem Theaterstück »Almansor«. Ein Privileg ist schon diese Eröffnung, denn hinab zu den erst nach massivem Protest geretteten und freigelegten originalen Mauerresten des historischen Frankfurter Judenviertels gelangt man sonst nicht so einfach.

Der mit sphärischer Musik ein wenig mystisch geratene Prolog läutet dennoch Großes ein: einen am Ende fünf(!)stündigen Abend im Carré der Straßenkreuzung Batton/Schumacher, der sich räumlich über acht »Stationen eines Traumas« in Kirchen Sälen Plätzen inklusive einer Bustour zur Konstabler Wache erstreckt .Und inhaltlich von Düsseldorf bis Paris, sprich: über Heines lebenslanges Ringen um seine religiöse und kulturelle Zugehörigkeit. Dass er keine Minute langweilig wäre, lässt sich nicht ganz behaupten. Doch ist man gut unterwegs und wird von zehn Darstellern, 30 Chorsängern und vier Musikern laufend am Denken und denkend am Laufen gehalten. Ein Monster, auch vom komischen Titel her: »Heinrich Heine wacht auf und erzählt seinem Freund Karl Marx wie er im Traum die Kurt-Schumacher-Straße rauf und runter gefahren ist.«

So pathetisch der Prolog ausfällt, so anmutig und beschwingt stimmt uns das Ensemble in den Ruinen mit Episoden des jungen Heine ein, der da noch Harry hieß. Es murmelt all überall; wie bei »1789« in der Scheune des »Theatre du Soleil« von Ariane Mnouchkine fühlt man sich. Birgit Heuser gibt Betty Heine als Helikopter-Mutter, Reinhardt Behlings Harry durchleidet erste Kastrationsängste, und Marlene Zimmer überzeugt als rotes Seffchen mit scharfer Zunge und ebensolchen roten Schuhen nicht nur ihren Harry (Sam Michaelsen) vom Scharfrichtertochterwesen. Und nicht nur hier.

Wie einen Steinbruch haben Michael Weber (Konzept, Text, Raum, Darsteller) und Regisseur Willy Praml für diesen Parcours das Heine-Werk abgeklopft und Gedichte, Passagen aus den Reisebildern, den Memoiren und Briefen zu Tage gefördert. Dazu werden Shakespeare (»Der Kaufmann von Venedig«), die Bibel und manches Unbekannte (Huldschiners Gedicht »Die Tochter Jephtas«) gesellt. Als Rückgrat dient der Inszenierung die fragmentarisch erhaltene Erzählung »Der Rabbi von Bacherach«, die (auf drei Stationen) davon handelt, wie der Rabbi Abraham und seine Frau, die schöne Sara, durch die Flucht auf einem Kahn ins Frankfurter Judenghetto einem Pogrom entgehen.

Noch ein paar Eindrücke: An der aber-hässlichen Straßenkreuzung vor dem Museum entlädt sich das Heine-Projekt in ein spektakuläres Happening. Jeder erhält einen Kopfhörer und darf sich mit quirligem Plätschern, Liedern und Saras Traum auf der Kahnfahrt im Ohr am Rhein gelandet wähnen. Viel Verkehr auf dem großen Fluss, es strömen Autos und Straßenbahnen mit verwunderten, irritierten Insassen vorbei, ein OF-BMW hupt, ein LKW transportiert einen offenen Flügel, ein Krankenwagen bricht sich heulend unter Blaulicht den Weg. Das Ufer ist von merkwürdigen Figuren gesäumt, ein Beachboy mit seinem Brett, eine von Ampel zu Ampel torkelnde Bordsteinschwalbe in goldener Robe, eine trauerbeflorte Männergruppe prozessiert über die Zebrastreifen als sei sie zur Beerdigung des nächsten Beatle unterwegs, dieweil die schöne Sara auf halbem Weg zur AOK eine Kleenex-Packung leerweint und auf den anderen Verkehrsinseln der stille Wilhelm gleich fünffach als Lotse mit seinem Ruder wacht. Man sieht die Fragezeichen in den Gesichtern der Passanten.

Sehr beeindruckend ist die mit Heine-Zitaten untermalte Shylock-Performance von Jakob Gail in der Unitarischen Kirche. Als das Beechers Brook dieses Theater-Grand-Nationals aber erweist sich der anspruchsvolle Religionsdisput zwischen Heine und Mylady Mathilde (»Bäder von Lucca«). Der Pramlsche Sprechbrauch, Texte gleich welchen Genres chorisch zu verpseudohexametern, kommt im Hall der Kirche einer eingebauten Schikane gleich.

Karl Marx übrigens, im Titel nachgerade lockvogelhaft prominent platziert, erscheint erst zum Finale in Heines Matratzengruft, dem Hof des Dominikanerklosters. Das graue rauschbärtige Haupt vom schwarzen Zylinder bedeckt sitzt Christian Raab, den wir vorher als Napoleon und Kaiser Rotbart erleben, sichtlich missvergnügt im dunklen Anzug mit überschlagenen Beinen auf einem Stuhl und muss sich auch noch anhören, wie wenig Zutrauen sein Freund in die künstlerische Ästhetik des Kommunismus hat. Man ist glücklich erschöpft am Ende.

Winnie Geipert
Bis 5. Oktober: Fr., Sa. 19 Uhr;
So. (8., 15., 22., 29. September): 18 Uhr
http://theater-willypraml.de

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