Theater Landungsbrücken: »Mephisto. Die Künstler. Die Kunst. Die Karriere«

Nabelschau in Not und Nöten

Was uns die Frankfurter Brüder Koenig/König – Linus als Regisseur und Julian als Schauspieler – zusammen mit Bahar Sarkohi im Theater Landungsbrücken in »Mephisto« bieten, lässt sich durchaus unter dem Begriff Nabelschau rubrizieren. Der gleichnamige »Roman einer Karriere« von Klaus Mann, der ihnen als Matrix dafür dient, die Abhängigkeiten des Künstlers im Kulturbetrieb zu fokussieren, verfolgt den Weg des deutschen Schauspielers Gustaf Gründgens von den 20ern, als »GG« in linken Kreisen verkehrte, über seine Zeit als ein von Hermann Göring protegierter Intendant des Preußischen Staatstheaters, bis zum wohldekorierten Bühnenstar der Nachkriegsrepublik – und unterstellt ihm schon qua Titel eine mephistophelische Natur.
Da aber setzen die Königs an. Was erwartet, wer Gründgens Opportunismus derart geißelt, von den Menschen, die auf der Bühne stehen? Zu was bitte verpflichtet diese der Beruf über den Beruf hinaus? Julian König, Mitglied des Ensembles der Dramatischen Bühne, spielt als fiktiver Gesamtkünstler und als bekannt großartiger Virtuose eine Folge von noch viel bekannteren, aber auch unbekannten Szenen und Fälle von Schauspielern, Literaten und Filmemachern in Erklärungsnot und Erklärungsnöten, aber er stellt sie auch beim willkürlichen Ausleben eigener Macht ins Licht: von Gustav Gründgens und Veit Harlan (Regisseur des »Jud Süß«), über Bertolt Brecht (zum 17. Juni) und Günther Grass (NS-Jugend) bis zu Götz George (über seinen Vater), Klaus Kinski und dem Batman-Darsteller Christian Bale.
Dazu werfen Linus und Julian auch eigene Erfahrungen mit auf die Waagschale: eine Debatte über eine Tagesgage von 36 Euro etwa oder die Gastrede beim zum Aschermittwoch der Grünen, die Linus K. mit »Liebe Kinderficker und Kinderfickerinnen!« begann. Man sei doch immer gut zu den Landungsbrücken gewesen, wurde ihm vorgehalten.
Wer sich nicht ganz dem großen Rätselraten hingibt, was in dieser vielteiligen Collage aus welcher Quelle stammt, wird unweigerlich mitkriegen, dass Verhaltensnot und Verhaltensnöte kein Privileg von Künstlern sind. Wie schon in der Landungsbrücken-Produktion »Hass« die selbstbezogene Casting-Szene letztlich den Alltagsrassismus in Deutschland thematisiert, so wird aus dem Nabel des Mephisto der von uns allen.
Die Bühne in den Landungsbrücken ist als kleines Studio eingerichtet, in dem Bahar Sarkohi wahlweise die Gastgeberin, die Interviewerin oder auch die Technikerin gibt, auf die sich der brillante Julian K. immer wieder bezieht. Und weil mächtige Stars auch nett sein können, tanzt man auch mal mit ihr, wenn man sie nicht beschimpft.
Sarkohi, die vom Ensemble der theaterperipherie kommt, bricht ihre Passivrolle erst am Ende, als sie das Publikum mit der Geschichte ihres Vaters verblüfft, der sich im Iran als Schriftsteller mit Millionenpublikum für den Widerstand entschied und nach langer mehrmaliger Haft nicht mehr der war, an den sich seine Familie erinnerte. Keine weiteren Fragen. Und Grund genug, den Landungsbrücken gut zu bleiben.

Winnie Geipert (Foto: © Niko Neuwirth )
Termine: 7., 21. Dezember, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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