Stück für Stück 01/2013

Eine Auswahl …

von Winnie Geipert

 

 Fritz-Rémond-Theater13. Dezember 2012 bis 27. Januar 2013Der Raub der SabinerinnenPavel Fieber, Walter RenneisenFoto:Helmut SeuffertRiedhalsstrasse 1960437 Frankfurt / MainTel.: 06101-497090 + 0173-9848024foto@seuffert.deKto. 42 50001BLZ 501 900 00Frankfurter VolksbankSteuernummer 013 869 31922Umsatzsteuer auf Honorarabrechnungen: 19%Ein Außerirdischer im Biedermeierkosmos

Fritz Rémond Theater: Der Raub der Sabinerinnen

Es wurde 1884 uraufgeführt, gehört zu den meistgespielten Stücken der deutschen Theatergeschichte und seine Hauptfigur, Emanuel Striese, ist im Genre der Bühnenkunst zu einem Synonym für einen von haltloser Leidenschaft und heilloser Mittelarmut geprägten Impresario geworden. Im Fritz-Rémond-Theater demonstriert Intendant Claus Helmer, weshalb »Der Raub der Sabinerinnen« von Franz und Paul von Schönthan ein Evergreen des Theatertheaters und kein bißchen welk geworden ist.  Dabei ist diese Provinzposse wenig spektakulär: Der zerstreute Professor Gollwitz, eine Ehrenperson, hat als Student ein Stück über die Römerzeit geschrieben, von dem der Leiter der gerade gastierenden Wanderbühnentruppe Striese per Zufall erfährt. Mit sicherem Gespür für den Wirbel, den eine Lokalgröße als Autor auslöst, maßlosem Selbstvertrauen und einem geschulten Auge für Eitelkeiten gelingt es ihm, »Den Raub der Sabinscherinnen«, wie er es radikalsächsich näselnd nennt, binnen fünf Tagen zur Premiere anzusetzen. »In fünf Tagen?« »Diese Zeit muß ich mir schon ausbedingen.«

Wie ein Außerirdischer dringt der Theatermacher in den Biedermeierkosmos der Familie ein, den Bühnenbildner Klaus-Ulrich Jacob in einen weitläufigen eleganten Salon mit hellgrünem Diwan im Zentrum beschreibt. Wie Striese das Stück zu realisieren gedenkt, welche Rolle seine Frau, sein Sohn und ein Papagei dabei spielen, rührt über alle Lachtränenwellen hinweg noch immer das Theaterherz, wiewohl es weder Stück, noch, Frau, noch Sohn, noch den Papagei zu sehen kriegt.  Mit Walter Renneisen findet der Schmierentheaterchef eine grandiose Besetzung, wobei völlig egal ist, ob sein zum Schreien komisches Sächsisch auch vor sächsischen Ohren bestünde: In dem herrlich gehemmt agierenden Gollwitz (Pavel Fieber) findet Renneisen das ideale Gegenüber für seine Eskapaden. Garniert ist der Schwank mit diversen Liebesränken und Verwechselspielchen, die – gleichwohl nicht mehr von dieser Welt – dank einer erlesenen Besetzung (Ellen Schulz als Frau Gollwitz, Wolff von Lindenau als Weinhändler) den perfekten Rahmen für einen gelungenen Abend bilden.

Termine bis 27. 1. täglich außer Mo., Di. – Sa. 20 Uhr, So 18 Uhr.


Anton Tschechow: DREI SCHWESTERN;Hessisches Staatstheater Wiesbaden:Magdalena Höfner, Doreen Nixdorf, Michael Günther Bard, Verena GüntnerCopyright:Martin Kaufhold, Ernst-Göbel-Str. 37aD - 65207 Wiesbaden, 0171 4158942Sparkasse Bochum BLZ 430 500 01KTO 11 35 61 450Die neue Zeit trägt Korsett

Staatstheater Wiesbaden:  Drei Schwestern

Da stehen sie mal wieder in der Grundformation an der Rampe: Irina und Mascha mit Olga Prosorov, der Ältesten von ihnen, in ihrer Mitte. Irina in Weiß, Mascha in Schwarz und Olga im Kostüm-Kompromiß – alle heutig. Hinter den Dreien spannt sich über die Bühnenfront eine mit projizierten Fotografien aus Kindertagen bebilderte Wand aus Papier.

Man schreibt, wie immer, wenn Anton Tschechows »Drei Schwestern« anhebt, den 5. Mai, über den Olga rätselt, ob es ein Tag des Gedenkens an den vor Jahresfrist gestorbenen Vater, der sie in die Provinz verfrachtet hat, oder einer der Freude über den Geburtstag der jungen Irina werden soll. Mit deren Bitte »Laß die Toten ruhen«, fällt die Entscheidung. Die Schwestern reißen die Erinnerungswand ein, um das Nesthäkchen zu feiern. Polstermöbel und Männer in Uniform verraten, daß Regisseur Markus Dietz den Klassiker nicht mit Krawall ins Heute drischt.

Dietz hat die Übersetzung von Thomas Brasch gewählt, weil diese den tschechowschen Hang zur Groteske betone. Ihren stärksten Ausdruck findet die Lesart in der Figur der Schwägerin Nastalja, die sich, dummdreist und belacht, zunächst den Bruder Andrzej, dann aber das gesamten Hab und Gut der Prosorovs unter die lackierten Fingernägel reißt. Wenn Olga aus der Distanz mit Mascha und Irina am Boden kauernd zum Schlußmonolog (»Keiner wird mehr wissen, daß wir drei waren …«) anhebt, triumphiert an der Rampe die vulgäre, sich über alles Sentimentale erhebende neue Zeit. Nathalja im Korsett.

In Viola Pobitschka findet die überzeichnete Unfigur zwar eine starke Besetzung, doch sind es die Schwestern, die schauspielerisch die Akzente einer sehenswerten Aufführung setzen. Wenn Doreen Nixdorf beim Abschied Werschinins nicht mehr übertünchen kann, daß sie sich um ihre letzte Hoffnung betrogen fühlt, und Verena Güntners Mascha in unendlicher Abscheu vor dem Biedergatten Kulygin (Uwe Kraus!) zerbricht, dann ist das einfach groß. Magdalena Höfner überzeugt als Stehaufmädchen Irina, Michael Günther Bard empfiehlt sich in der Rolle des Andrej schon mal als Gerard-Depardieu-Double, wenn er nicht nur körperlich die Fasson verliert. Herrlich zynisch: Lars Wellings als Solyoni.

Termine 5., 9. und 16. 1. 19.30 Uhr

tr-radikalextrem-6Dschihad – Gesundheit

Theaterperipherie im Titania:  radikalextrem²

Die Aufführung ist eine Zumutung. Und damit das Mindeste, was man von einer Bühnenarbeit über ein unbequemes politisches Thema erwarten darf. Im Titania mutet uns das Ensemble »theaterperipherie« unter dem ironischen Titel »radikalextrem²« zwei prototypische junge Karrieren auf der Matrix der nationalen und religiösen Verklärung zu. Zwei Wege, die mit frappierenden Parallelen aus dem privaten Frust in die gesellschaftliche Abschottung, aus erfahrener persönlicher Ohnmacht in die eingebildete Allmacht der Gruppe führen. Aus dem »Du bist nichts!« in das »Dein Volk/Deine Religion ist alles« des Rechtsradikalismus und des sogenannten Islamismus. Die Regie führt Alexander Brill, der Gründer der multikulturellen Laienspielgruppe. Den Stoff haben die fünf Darsteller überwiegend selbst recherchiert: aus Agitationsmaterial, aus Biografien, von frei zugänglichen Homepages, aber auch aus Erfahrungen, die es frei Haus und reichlich für jeden, der will, in Schulen, Clubs und den Jugendszenen zu machen gibt. Nichts, was hier spielt und gesagt wird, ist erfunden. Herausgekommen ist eine offene Folge von Szenen mit einem gehörigen dramaturgischen Drive Richtung Publikum. Was in Strampelhosen und Plüschtierpantoffeln als Teletubby-Lehrstück um Ausgrenzung beginnt, fliegt langsam, aber sicher aus der bloßen Zuguckspur. Ein Intermezzo der Aggressionsabfuhr mit Schlagzeug, Trompete und E-Gitarre leitet über in eine noch halbwegs lustige Publikumsbeschimpfung (»Ihr laktoseintoleranten Latte-Macchiato-Trinker«, »landebahnrasierten Hariboschnecken«), um in einer Art Milgram-Experiment zwischen Dschihad und Deutschland-Erwache zu münden. Jeder kann, keiner muß mitmachen beim Hüttenzauber-Singalong, bei der 9/11-Gedenkminute, beim Identitätstest mit dem Applausometer. Wie schwer es dem A-Sager fällt, das B zu verweigern, gehört zu den nicht zwingend schönen, aber wichtigen Erkenntnissen, die man nach 90 kurzweiligen Minuten gewinnen kann. Daphne Altan, Miro Kania, Hadi Khanjanpour, Tanja Ronaghi und Florian Stamm machen’s möglich: unverkrampft und entfesselt.

Termine: 24.1. um 19.30 Uhr

Der Chinese | Benjamin Lauterbach | Farce | UrauffŸhrung | PremiLara-Mara hat dich lieb

Staatstheater Darmstadt:  Der Chinese

Das Schlagwort von Ökofaschismus stammt aus den Siebzigern. Es weist, wo es nicht als Schimpfwort dient, auf die repressive Komponente der politischen Ökologie. Auch wenn Bernd Lauterbachs Theaterstück »Der Chinese« zuvörderst als Satire über das ökologische Bewußtsein der aufgeklärten Lifestyle-Gentry vom Prenzlauer Berg und anderswo zu verstehen ist, hat es weit mehr zu sagen.

Dabei wird pausenlos gelacht im Verfolg dieser kleinen Zukunftsgschichte, die vom Besuch eines Chinesen bei einer deutschen Familie handelt. Doch leben Vater Alexander und Mutter Gwendolyn mit ihren Kindern Maria-Lara und Niclas in einer Zeit, in der sich in Deutschland die ökologische Lebensweise ganzheitlich durchgesetzt hat. Es wird nicht nur gesund gelebt und gegessen, sondern auch gesund gedacht. Dazu gehört, daß man sich vor dem Essen an den Händen faßt und bei den Pflanzen bedankt. Und daß alle sich liebhaben und glücklich sind und sich das auch permanent sagen. Weil ins schöne glückliche Deutschland nicht mehr jeder einfach so rein kann, ist ein staatlich arrangierter Besuch eines Menschen aus China natürlich etwas Besonderes. »Ich hab den Chinesen schon ganz lieb, obwohl ich ihn noch gar nicht mal kenne«, ist Maria-Lara ganz aufgeregt. Dumm nur, daß der Chinese, der die glücklichen Deutschen verstehen lernen will, den Kindern Plastikspielzeuge schenkt, noch dümmer, daß diese ihnen so gefallen. Sein Handy macht ihm zum Gesundheitsrisiko, seine Fragen zu einem der Sicherheit. Bis Gwen und Alex klar wird, daß der Chinese verschwinden muß, ist das »schöne Deutschland« als Wohlfühltotalitarismus mit Mauern enttarnt. In Darmstadt hat Regisseurin Andrea Thiessen in einem klugen Kunstgriff die Rollen der Kinder mit den Nestoren Margit Schulze-Tigges und Klaus Ziemann besetzt, Andreas Vögler und Christina Kühnreich spielen das Paar, Harald Schneider den immer höflichen Chinesen.  

Termine: 19., 24.1. 20 Uhr
gt

 

 

 

 

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