Städel-Museum: »Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch«

Maria in der Duschkabine

Zu einer Schnitzeljagd der Extravaganz lädt das Städel-Museum unter dem Titel »Dialoge der Meisterwerke. Hoher Besuch« jetzt ein. Die letzte Großveranstaltung des Jubiläumsjahres. Zu Gast bei dieser Geburtstagsparty zum 200ten sind noch bis Ende Januar 40 Kunstwerke von höchster Provenienz aus der gesamten Welt. Allesamt geladen zum intensiven Dating mit den heimischen Kunststars. Über das ganze Haus verteilen sich die Begegnungen. Treppauf, treppab muss man, um sie alle mitzubekommen.
Wie die nachgerade rührende Geschichte der beiden van Eyck-Werke »Verkündigung an Maria« (1434/36) und die »Lucca-Madonna« (1436/38), die auf einer großen Auktion im 19. Jahrhundert auseinander gingen. Der Städel-Chef Passavant unterlag damals im Bieterstreit um Maria der überlegenen Finanzkraft des russischen Zaren Nikolaus I, war dafür aber beim nächsten Los günstig am Zug. Wer hätte schon ahnen können, dass den Romanows und ihren Gütern eine begrenzte Frist beschieden war? Die Verkündigung hängt nun in der National Gallery of Arts in Washington. Aus Versicherungsgründen ist die von ihrer ungeplanten Schwangerschaft erfahrende Maria in ein Plastikgehäuse verpackt, das man intern als eine Duschkabine bewitzelt. Eine hohe Präzision in den Farben, Mustern und im Wurf der Umhänge gibt den eigentlich zur Andacht bestimmten Bildern eine fesselnde Intimität.
In der Graphischen Sammlung fällt die Gegenüberstellung des Max-Beckmann Rimini-Bildes mit einer abstrakten Fläche von Richard Serra auf. Der frühere Leiter der Städelschule hat 1927 in einem heiter wirkenden Entwurf einen von belebten Brücken überspannten Zulauf ins Meer und den Horizont mit einer erdrunden Wölbung gezeichnet. Serra dagegen lotet mit horizontalen schwarzen Strichen einen Horizont aus, der durch pure Wiederholung und Auflagerung zum Rechteck wächst, das er »Taraval Beaches« nennt.
Die gigantische Arbeit »Das Floß der Medusa« von Théodore Gèricault versammelt gleich mehrere Arbeiten um sich. Um in der Abteilung zeitgenössische Malerei im Souterrain des Hauses einen Platz zu finden, musste die autorisierte Kopie des im Louvre verbliebenen Originals aus dem Rahmen genommen und gerollt werden. Als Ikone der politischen Kunst ruft das Floß natürlich Assoziationen mit aktuellen Fluchtbildern vom Mittelmeer hervor. Das dramatische Bild ist eine künstlerische Reaktion auf skandalöse Geschehnisse vor der Küste Senegals, wo ein nur durch seinen Adel berufener Kapitän eine Havarie des Schiffes »Medusa« verursachte und sich dann mit der besseren Gesellschaft an Bord auf den wenigen Booten in Sicherheit brachte, während auf einem dem Meer überlassenen Floß nur 15 von mehr als 140 ausgesetzten Passagieren viele Tage später das Land erreichten. Trotz seiner politischen Intentionen weist Géricaults atemraubendes Großbild Figuren aus, die weniger die realen Opfer als Ideale der klassischen Sage zu zeigen scheinen. Im Städel wird das Werk mit Farbzeichnungen von Dierck Schmidt über Boat-People vor der australischen Küste und mit einer Serie von Selbstzeichnungen Martin Kippenbergers konfrontiert, auf denen der Künstler alt, ausgemergelt und zerstört in Posen des Géricault-Personals zeigt. Eine kaum mehr prophetische Sicht auf das eigene Ende nur wenige Monate später. Wer hier Gesang vernimmt und diesem folgt, gelangt zur Videoproduktion »Disco« von Markus Muntean und Ari Rosenbaum: ein von einer Arie unterlegtes hochpathetisches filmisches Stillleben von Gèricaults Werk mit Darstellern.
Zu den Höhepunkten der Dialoge gehören Tischbeins Goethe und Andy Warhols Nachbildung und natürlich das Treffen der Mona Lisa des Städels, Botticellis Bildnis von Simonette Vespucci, mit der »Aurelia« von Dante Gabriel Rossetti. Am spektakulärsten aber dürfte Judiths martialisch gemalte Hinrichtung des Holofernes von Artemisia Gentileschi aus dem Jahre 1612/13 sein, die ihrem Dialogpartner Rembrandt (Samson und Delilah) vielleicht sogar als Anregung gedient hat. Das Bild lässt den Schmerz und die Wut der Künstlerin spüren, die in der Werkstatt ihres Vaters vergewaltigt wurde und diese Tat später erfolgreich vor Gericht bringen konnte.
Das Städel bietet einmal mehr über seine Homepage zur Vorbereitung und zur Vertiefung eine kostenlose digitale Einführung.

Lorenz Gatt
(Foto: Gentileschi
© Museale della Citta die Napoli)
Bis 24. Januar: Di., Mi., Sa., So. 10 – 18 Uhr; Do., Fr., 10 – 21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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