Staatstheater Wiesbaden: Der Junge in der Tür

Der Junge in der Tür (Foto: Lena Obst)Verbotenes Terrain

Wartburg Wiesbaden entdeckt Mayorgas »Der Junge in der Tür«

Im spanischen Original heißt das Theaterstück von Juan Mayorga »El chico de la última fila«, also »Der Junge aus der letzten Reihe«, und richtig bekannt wurde es in Deutschland erst als Film unter dem Titel »In ihrem Haus« von François Ozon. Kein Wunder also, wenn es bei den Kinofans unter den Besuchern von »Der Junge in der Tür« etwas verzögert zum Aha-Erlebnis kommt. Tatsächlich handelt es sich bei der Wiesbadener Inszenierung von Julia Wissert um eine deutsche Erstaufführung. Sie hat das Stück als Diplomarbeit am Salzburger Mozarteum konzipiert und dafür – ganz frisch – den Kurt-Hübner-Regiepreis 2014 erhalten.
Claudio heißt der Junge aus der letzten Reihe in der Klasse des Lehrers German. Der Aufsatz des bis dahin eher unscheinbaren Knaben zum Thema »Mein Wochenende« aber haut den frustrierten Pädagogen und verhinderten Autoren schlichtweg um. Claudio schreibt nicht nur so, wie German es selbst gerne können würde. Er zieht den faszinierten Leser, der sich schnell zum Berater erhebt, überdies in seine voyeuristische Fortsetzungsgeschichte hinein, in der er sich perfide in die Spießerfamilie seines Mitschülers Rafa drängt. Ungeachtet dessen, dass der Wahrheitsgehalt von Claudios Abenteuern offen bleibt, wird German unmerklich zum Teil der Geschichte und Spielball des Schülers. Flankiert von intellektuellen Reflektionen mit seiner Gattin Yuana, einer Galeristin, steigert sich das Psychodrama zum Thriller.
Die Bühne von Susanne Füller geht in Richtung Minimal Art und gewährt in dieser sich zwischen Fiktion und Realität bewegenden Geschichte die Orientierung. Drei Sitzgruppen weißer Plastikstühle vor einer schwarzen Wand stellen den Klassenraum, Rafas Heim und Germans Wohnung vor und werden durch kaum wahrzunehmende Spalte in der Wand betreten und über Licht in Szene gesetzt. Wie eine Kunstfigur, unwirklich und unnahbar taucht Cain van Cauwenberghs überzeugender Claudio bei seinen Gast-Spielen in Rafas Heim, aber auch in der Klasse auf: Jedes Wort von ihm kommt bedacht und ist mit einem Schuss Arroganz punktgenau gesetzt. Stephan Täht gibt den besessenen Lehrer, Kruna Savic seine zunehmend befremdete Frau, während sich Rafas (Marcel Herrndorf) gelangweilte Spießermutter (Sybille Weiser) sich willig von Claudio verführen lässt. Ein starkes, prima inszeniertes Stück, das es verdient hätte, häufiger auf dem Spielplan zu stehen.

Winnie Geipert
Termine: 3. Januar, 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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