Staatstheater Mainz: Furioses Saisonfinale mit »Der Meister und Margarita«

Und selbstverständlich rollen die Köpfe

Zehn Tage, die die Welt erschüttern, klingt etwas hoch gegriffen. Und doch wird auf den Mainzer Brettern, die die Welt bedeuten, vom 17. Juni bis zum 2. Juli zehn Vorstellungen lang alles anders sein als sonst im Staatstheater. Immerhin geht es dort wie in John Reeds Geschichtsklassiker um die Oktoberrevolution, genauer: um deren Folgen für das Leben in der Sowjetunion unter Josef Stalin. Noch genauer: wie der Schriftsteller Michail Bulgakow sie in seiner gnadenlosen Satire »Der Meister und Margarita« derart auf die Schippe nimmt, dass der Roman erst 1966, also 26 Jahre nach seinem Tod, und zudem stark gekürzt erschien. Die anspielungsreiche, beißende Kritik am doktrinären sowjetischen Überwachungsapparat und seiner dogmatischen Bürokratie handelt von einem an den Verhältnissen scheiternden Schriftsteller und dem leibhaftige Teufel Voland, der mit seinen Kumpels die Ordnung des atheistischen Moskau auf den Kopf stellt. Sie avancierte binnen kürzester Zeit zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Werke des Landes.
Für die Inszenierung der Theaterversion des gewaltigen Romans durch Jan-Christoph Gockel wird die Bühne des Kleinen Hauses derart aufwendig umgebaut, dass sie für nichts anderes mehr nutzbar ist und so das Stück ›en suite‹ gespielt werden muss. Und dann nie wieder. Gockel will das Augenmerk mehr, als dies sonst geschieht, auf die Figur des Meisters richten, einem Schriftsteller, der sich nicht nur an den Strukturen der Ordnung und des Kunstbetriebs aufreibt, sondern auch an sich und seinem Schaffen verzweifelt. Der Meister mache mithin Erfahrungen, die man ohne Bulgakows eigenes Drama zu bagatellisieren, leicht auch im Hier und Heute nachvollziehen könne, so Gockel. Ohnehin zeichneten diesen russischen Faust, der sein von der Zensur als konterrevolutionär gebrandmarkten Hauptwerk über die Begegnung von Pontius Pilatus und Jesus mehrfach ändert und am Ende verbrennt, autobiographische Züge des Autors.
Während die Inszenierung nach Gockel zunächst der Teufelsbande um Voland und den Kater Behemoth in Moskau folgt, greift sie im Weiteren das Drama des Kunstschaffenden auf, um sich im Auslauf der vom einsichtigen Teufel forcierten Liebesgeschichte zwischen dem Meister und seinem Gretchen Margarita zu widmen, die Bulgakow in ein übersinnliches Erlösungsszenario münden lässt. Das Bühnenbild gebe – »hoch wie nie« – einen über drei Stockwerke reichenden Blick auf das sowjetische Leben in Moskau in nicht weniger als neun Wohnungen und eine veritable Straßenbahn frei. Alle, die Bulgakows Roman kennen, wissen, auch wenn sie ihn nie zu Ende gebracht haben, welche fatale Rolle das Schienenfahrzeug für den atheistischen Vorstandsvorsitzenden des Autorenverbands Berlioz spielen wird, nachdem er den Teufel leugnet. Selbstverständlich, freut sich Gockel, würden auch in Mainz die Köpfe rollen – und teils wieder aufgesetzt.
So groß wie der Wurf, den der Hausregisseur wagt, so groß wird auch das Ensemble, das 18 Schauspieler plus Musiker und ihn selbst in der Rolle des Intendanten vorsieht. Die des Teufels Voland nimmt Martin Herrmann ein, die seines Katers Behemoth Lorenz Klee, während der Meister als eine in seinem Werk aufgehende gespaltene Persönlichkeit von Sebastian Brandes mit Vincent Doddema und Nicolas Fethi Türksever in Szene gesetzt, und sein Gretchen von Leoni Schulz verkörpert wird.
Gefordert wird auch das Publikum sein, das dem erwartungsgemäß um die drei Stunden plus währenden Saisonfinale nach der Rückkehr aus der Pause in einem Ballsaal beiwohnen soll. Alles weitere lassen wir hier mal offen. Nur so viel: Jan-Christoph Gockel gestaltet »Der Meister und Margarita« dieses Mal ganz ohne die Puppen von Michael Pietsch, die ihn mit der Geschichte der Familie Grimm und Gerhart Hauptmanns »Die Ratten« zum Mainzer Publikumsfavoriten machten. Allerdings eröffnet er das nächste Spieljahr des Staatstheaters mit einem für ihn nicht minder typischen Recherchestück »Der siebte Kontinent«, das er in Koproduktion mit der freien Szene in Köln (Bauturm-Theater) entwickelte und von der größten Müllhalde der Welt handelt. Vom 7. Oktober an spielt der Regisseur dann wieder mit Puppen. Allerdings in Franfurt. Sein erstes Engagement am Schauspiel gilt Franz Kafkas »Die Verwandlung«, einer der Hits, die dessen neuer Intendant Anselm Weber aus Bochum mtbringt.

Winnie Geipert (Foto: Jan Christoph Gockel, © Andreas Ettler)
Termine: 16., 19., 20., 21., 27., 28., 29., 30. Juni, 1., 2. Juli 19.30 Uhr
www.staatstheater-mainz.de

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