Staatstheater Darmstadt: Kafkas »Der Prozess«

Staatstheater Darmstadt: Der Prozess (Foto: Barbara Aumüller)Im Reich der Finsternis

Eine tiefgraue lange Wand bildet die düstere Kulisse für die Bühnenfassung von Franz Kafkas Roman-Fragment »Der Prozess« im Kammerspiel des Staatstheaters Darmstadt. Eigentlich ist es ein Dunkelkammerspiel, auch der Boden ist schwarz, auch die quadratischen Platten der fünf Tische auf Alubeinen sind es, die mit je einem Stuhl akkurat in Reihe stehen. Die spärlich beleuchtete Wand stellt den Wohnblock, das Bankhaus, die Behörde, das Gericht und das Gefängnis, alle Stationen vor, die der sich an seinem 30. Geburtstag ohne Grund verhaftet erfahrende Bankprokurist Josef K. in diesem Reich der Finsternis verzweifelnd durchläuft.

Fünf Schauspielern überträgt Regisseur Reinar Ortmann diese verstörende Odyssee auf der Abwärtsrampe: vier Männer in gediegenem farblosen Büro-Outfit (Anzug, Krawatte, weißes Hemd) und einer in luftiges Grau und Glitzerstrumpfhose gekleideten Frau. Ortmann, der die Vorlage in eine dialogisch verdichtete Form von gut anderthalb Stunden gepackt hat, überlässt es Kafkas Sprachgewalt sowie dem Spiel und der Sprechkunst der Schauspieler, für Licht und Leben zu sorgen. »Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet«, hebt Istvàn Vincze, der sich bald als Josef K. zu erkennen gibt, als erster der in Lesehaltung platzierten Darsteller an. Mehrfach wird dieser erste und programmatische, alles Weitere schon enthaltende Satz wiederholt, bevor die Stimmen zum Orkan anschwellen, um dann wieder zu verebben. Ein Katapultstart ins Spiel.

Vincze, dem das Darmstädter Echo sogar eine Ähnlichkeit mit dem Autor attestierte, vollzieht den Wandel vom selbstbewussten jungen Mann, der den Irrtum um seine Anklage zügigst klarzustellen gedenkt, zu einem sich zermürbt in die Schuld findenden Opfer der anonymen Mächte in zu Tränen rührender Ungläubigkeit. Alle anderen Rollen, vom Richter bis zum Prügler, vom Maler bis zu den Wächtern teilen sich Andreas Vögler, Klaus Ziemann und Simon Köstler in einem hoch konzentrierten, mit der Präzision eines Uhrwerks ablaufenden funktionalen Spiel, aus dem nur Katharinas Hinskens emotionale Frauen etwas auszubrechen scheinen. Zu ihren Auf- und Abtritten gelangen die Figuren nur gebeugt durch eine in die schwarze Rückwand eingelassene brusthohe Tür. Josef K., der als einziger die Spielfläche nicht verlässt, bleibt ungebeugt. Er wird gebrochen. Großer, verdienter Beifall.

Winnie Geipert
Termine: 2., 14., 22. März, 20 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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