»Soy Nero« von Rafi Pitts

Kampf um die Greencard

Auf der Berlinale im vergangenen Februar ist dieser Film untergegangen. Kein Preis, nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient gehabt hätte. Denn »Soy Nero«, diese Schilderung der misslichen Situation eines Greencard-Soldaten, der für die USA sein Leben riskieren muss, um einen Einwandererstatus zu erlangen, gerät zu einer ergreifenden Parabel über Identität und deren staatliche Anerkennung.

Greencard-Soldaten gibt es schon seit dem Vietnamkrieg. Man versprach ihnen nach ihrem Einsatz in der US-Armee die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten. Nach 9/11 gilt dies auch für illegale Einwanderer, und unter Präsident Obama werden sie schon vor ihrem Einsatz im Irak oder Afghanistan eingebürgert.
»Soy Nero« ist nach Angaben des Regisseurs Rafi Pitts der erste Film, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Und der gebürtige Iraner wählte dazu eine besonders absurde Situation. Der 19-jährige Mexikaner Nero ist in Los Angeles aufgewachsen, zog dann nach Mexiko und möchte wieder in die USA zurück. Aber im Wege steht ihm ein hoher Zaun, der auf seiner nördlichen Seite streng bewacht wird. Offiziell will man in den USA keine Mexikaner, inoffiziell fühlen sich viele Kalifornier wohl, wenn die illegalen Einwanderer mit wenig Lohn für sie arbeiten.
Solange jeder auf seiner Seite bleibt, geht es locker zu an dem Zaun. Man sieht einen Ball hin und her fliegen, zwischen den USA und Mexiko. Die jungen Männer sind eben sportlich, hüben wie drüben. Den Zaun zu überwinden gelingt schließlich Nero, der im gelobten Land angekommen, von einem Autofahrer aufgelesen wird. Doch der Amerikaner, der mit seiner kleinen Tochter unterwegs ist, erweist sich als schräger Verschwörungstheoretiker, und als er in eine Polizeikontrolle gerät, kann Nero die Flucht ergreifen.
Sein erstes Ziel ist Halbbruder Jesus, der in einer Luxusvilla in Los Angeles lebt. Das mit Kostbarkeiten vollgestopfte Haus steht im bizarren Kontrast zu Neros Lage als Illegaler, und so ist sein Aufenthalt dort auch nur von kurzer Dauer. Zum Abschied bekommt er die ID-Card von seinem Bruder und heißt fortan Jesus. Und nach einem brutalen Schnitt zeigt ihn der Film mitten im »no man’s land«. An einem Grenzposten in einer Wüstenlandschaft im Nahen Osten muss er nun die Einheimischen kontrollieren. Er, der selbst eine falsche Identität hat. »Ich bin Nero« heißt der Titel auf Deutsch.
Wim Wenders hat einmal gesagt, die größten Filme seien unvollkommen. Nach dieser Betrachtungsweise wäre diesem Film ein Platz in Wenders‘ Bestenliste sicher. In seiner distanziert-offenen Erzählweise, die dem iranischen Kino eines Abbas Kiarostami näher steht als der westlichen Dramaturgie, werden die politischen Bezüge erst bei näherer Betrachtung deutlich. So ist der Posten im Niemandsland ein Stück Unterschichten-Amerika, und die Art und Weise, wie sich die Einheimischen kontrollieren lassen müssen, dürfte ihnen wohl kaum das Gefühl verschaffen, endlich der »freien Welt« anzugehören. Pitts lässt den Zuschauern Raum für eigene Überlegungen. Wenn man ihn nutzt, dann ist »Soy Nero« einer der inspirierendsten Filme der letzten Jahre.

Claus Wecker
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SOY NERO
von Rafi Pitts, D/F/Mexiko/USA 2016, 117 Min.
mit Johnny Ortiz, Rory Cochrane, Aml Ameen, Darrell Britt-Gibson, Khleo Thomas, Michael Harney
Drama
Start: 10.11.2016

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