So viele Nullen (84)

Aus »Big Brother« ist mittlerweile »Big Data« und aus den »Vereinigten Staaten« sind die »Vereinigten Daten« geworden. Zumindest, wenn man der FAS glaubt. Der FAS Daten-Kommentator fragte sich dazu, was gefährlicher sei, daß »Big Data« alles über uns wisse, oder daß es nicht wissen wolle, worauf es »wirklich« ankäme, nämlich »das Wollen, das Wünschen, die Subjektivität«.

Das ist süß und liest sich wie ein Aufruf nach besserem, sozusagen sozialdemokratischem Abgehörtwerden. Der Staat soll nicht herausfinden, wer wir »wirklich« sind, sondern wer wir sein wollen. (Dann hätte nur leider Walter Mitty kein geheimes Leben mehr.) Das gipfelt in der epochemachenden Forderung: »Einer Politik aber, die mehr sein will als das Management herrschender Verhältnisse, käme es drauf an, unsere Träume abzuhören«.

Mal davon abgesehen, daß Big Data bei der Analyse des globalen Datenmülls überhaupt nicht herauskriegen kann, wer wir (je Individuum) »wirklich« sind (wir wissen das ja meist selber nicht) – und mal abgesehen, daß die vielen abgelauschten Träume, in denen Gesundheit, ein neuer Porsche und die oder der kleine Schwarzhaarige von nebenan vorkämen (lauter Träume, die in der Masse ihres Auftretens, dem Abhörenden ein gehörig Maß an Weltekel bescheren dürften), wäre ich für meinen Teil vollkommen zufrieden, wenn die Politik wenigstens in der Lage wäre, die herrschenden Verhältnisse zu managen.

Währenddessen gesteht der BND, daß er selbstverständlich auch spioniert. Er belauscht aber nur ca. 20% (welche?) des Datenverkehrs, die Amis hingegen 100. Chinesen (sie verfügen derzeit über den schnellsten und größten Rechner der Welt) und Russen dürften aber mindestens genausogut im Geschäft sein wie die Amerikaner.Gemeinsam ist allen Lauschern, daß sie Data Mining betreiben, also im Datenmüll Strukturen, Muster suchen und daraus Profile erstellen, mit deren Hilfe man etwa Streuverluste bei der Werbung verringern kann.

Das einzelne Individuum spielt dabei keine Rolle – lediglich seine Zielgruppenzugehörigkeit, die sich aus seiner bisherigen Such-, Wahl- und Kaufaffinität errechnet.

Mit der gleichen Technik werden nun durchaus erfolgreich Profile erstellt, die der Aufklärung und Abwehr von Verbrechen dienen. Erst ein Profil, das einen validen Verdacht begründet, verlangt nach Identifikation und ggfs. Überprüfung der damit verbundenen Person(en). Für diese Überprüfung ist (sollte) wiederum ein richterlicher Beschluß notwendig (sein). Nicht das Lauschen ist demnach das Problem, sondern die Begründung (resp. ihr Fehlen), mit der der Schritt aus der virtuellen in die reale Welt vollzogen werden kann.

Größer als die Gefahr des Ausspähen der Deutschen durch die Amis scheint mir aber das aktive und passive Ausspähen der Deutschen durch ihren (»wohlmeinenden«) Staat zu sein; ein Staat, der seine Bürger zur Übermittlung steuer- und strafrechtlich relevanter Daten per Internet zwingt – und sie damit Lauschangriffen aussetzt – und der Beamten erlaubt, ohne richterlichen Beschluß, online Bankkonten zu inspizieren – und das seit geraumer Zeit und ohne daß sich jemand aufregt.

Kurt Otterbacher

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