Sinclair-Haus Bad Homburg:
Leiko Ikemuras »Zwischenwelten«

Leiko Ikemuras »Zwischenwelten«Leichte Mädchen, lichte Landschaften

Annähern und Entfernen, Werden und Vergehen, Diesseits und Jenseits: Man kann das wohl endlos so fortführen im Versuch, der 1952 geborenen und seit 1973 in Europa lebenden japanischen Künstlerin Leiko Ikemura auf die Schliche zu kommen. In einer Wandschrift der so treffend mit »Zwischenwelten« betitelten Ausstellung im Bad Homburger Sinclair-Haus beschreibt die in Berlin dozierende Malerin und Bildhauerin am Beispiel des Einschlafens, das sie »eine Art Ein-Sterben« nennt, recht eindringlich ihre künstlerische ›Zuständigkeit‹. »Schön ist der Moment, wo man langsam aufgibt und loslässt (…)«, sagt sie, um gleich auch mit dem morgendlichen »Sphinx-Zustand zwischen Tier und Mensch« den Prozess des Erwachens zu benennen.
Dieses Zitat ist zu dem Ölgemälde »Fallende« (2008) plaziert, das, ungewöhnlich groß unter vielen DIN A3-Format-Aquarellen,  in warmen zerfließenden Farben die Schemen einer Frau mit gelbem Haar erkennen lässt, die mit gestreckten Armen und schlafgeschlossenen Augen im Landen begriffen scheint. Während Kopf und Arme schon auf dem Boden ruhen, sind ihre Beine noch im Himmel. In Schlafpose flach auf der Erde liegend, finden sich auch die Frau auf dem Gemälde »Kopf über Liegender«, das ein Wolkengesicht über einer Träumenden andeutet, sowie der wunderhübsche Skulptur-Kopf  »White Sleep« und die eine Meerjungfrau darstellende weiße Keramik-Skulptur »Memento Mori«. Diese gut einen Meter lange, liegende, zerbrechlich wirkende Figur dürfte das meistbeachtete Werk dieser Schau sein. Ihr Kopf ist seitig auf ihre Arme gebettet, Ihre Augen sind offen und leer zugleich, wie im Wachtraum völlig selbstvergessen ins Leere blickend. Der Unterleib dieser Mermaid ist eine durchaus nicht unerotisch anmutende offene Muschel.
Mädchen und Mädchenhaftes gibt es auffällig häufig auf den rund 90 zwischen 2006 und 2012 entstandenen Exponaten im Sinclair-Haus. Die an den Manga-Kult erinnernden »Comic-Girls« (2007) als Aquarelle etwa, oder die mit Pastellkreide wie im Vorbeigehen gezeichnete Serie »Pink Hair« (2008) versuchen, den immer im Auflösen begriffenen Werde-Zustand zu fassen. Leicht und fließend kommen auch die linienförmigen »Wellen-Wesen« daher, die dem Meer, dem sie wie Dunstphantasien schwebend zu entweichen scheinen, doch immer verbunden sind. Während hier Landschaften zu Köpfen, Gesichtern, und Körpern mutieren, verschwimmen im Zyklus »Faces« konturlose Gesichter zu Landschaftsimpressionen.  
In ihrer Serie »Maspalomas« (2011) blickt Ikemura auf das Zusammenspiel der Elemente Luft und Wasser, auf wolkenverhangene kanarische Himmel über den Horizontalen des Meers und der Uferlandschaften. Ungewöhnlich bestimmt und fast fremd im Umfeld des leichten durchlässigen Spiels mit lichten Farben scheint der Assoziationsraum der blauschwarzen Pastellzeichnungen »Warbird«, »Warship« und »Warwave«, die mit dickem festen Strich zu Bombern mutierende Vögel über Schiffen erkennen lassen und nicht nur als Nachhall der Nachkriegswelt, in der Ikemura in Japan aufgewachsen ist, aufregend  wirken.

Lorenz Gatt
Bis 16. November: Di. 14–20 Uhr, Mi.–Fr. 14–10 Uhr, Sa., So. 10–18 Uhr
www.altana-kulturstiftung.de

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