Silvia Bovenschens neuer Roman »Nur Mut«

Silvia BovenschenEin starker Abgang

Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen hat sich mit eigensinnig unkonventionellen Essays einen Namen gemacht. Erst abseits vom akademischen Betrieb ist sie mit ihren Romanen richtig bekannt geworden. Berühmt wurde sie mit dem großartigen Essay »Älter werden« (2006) Die Frankfurterin Silvia Bovenschen lebt seit einigen Jahren in Berlin. Und schreibt. In diesen Tagen ist ihr neuer Roman »Nur Mut« erschienen. Ein sarkastisches Porträt der Alterskohorte, der sie sich selbst allmählich nähert.

Der Schauplatz ist übersichtlich: eine üppig großbürgerliche Villa. Das Personal ebenso: Vier alte Damen, eine Haushälterin, ein junges Mädchen, ein junger Mann. Dazu kommen noch: Leiche und Eisenstange. Die Geschichte erzählt (uns) ein gewisser Jean, Neffe von Charlotte. Die reiche Dame, eine ehemalige Professorin der Paläontologie, verfügt sowohl über den Schauplatz wie über den handlungsstiftenden Schürhaken. Seit einigen Jahren lebt sie mit ihren drei Freundinnen in diesem »Prachtbau der Gründerzeit«, einer Art Luxus- Rentner-WG mit Bildungsansprüchen. Johanna, »eine vergessene Autorin der Belletristik«, bleibt am liebsten im Bett und ruft häufig und laut das Wort »unerhört«. Eine ehemalige Lehrerin murmelt und summt ganztags vor sich hin. Nadine, eine Modemacherin, fällt immer noch durch extravagante Kleidung auf. Die 17-jährige luxusverwahrloste und aufsässige Dörte, haben die Eltern rausgeworfen. Oma Charlotte hat sie nun für einige Zeit in die »madige Geronten-WG« aufgenommen. Die Geschichte beginnt mit der genauen Zeitangabe »10 Uhr 03, noch 8 Stunden«. Natürlich fragt sich der Leser: 8 Stunden? Bis wohin? Was dann? Dörte sieht die Alten, aber die sich auch selbst, mit einem gnadenlosen Blick. »Die haben sich hier zusammengerottet, weil denen die Männer abhanden gekommen sind.« Wir sind »erstarrt in unseren Schrullen«, es ist anstrengend zu »strampeln, straffen, polstern, schneiden, ab(zu)saugen«, »die Kraft für Aufbrüche ist dahin«. Die Damen führen einen Krieg gegen ihre »Hinfälligkeit«. Die Tage vergehen gleichförmig. Doch an diesem Tag, »da ist was im Gange«. 18 Uhr 03. Die acht Stunden sind vorüber und Dr. Theodor von Rungoldt, Charlottes langjähriger Vermögensverwalter, tot. Nachdem der Finanzexperte Charlotte mitgeteilt hatte, dass er sie um ihr gesamtes Vermögen gebracht hat, schwang sie den Schürhaken. Nun gibt es kein Halten mehr. Erst rechnen die Damen mit sich ab, »es wurde gesagt, was noch gesagt werden musste – frei heraus.« Dann mit ihrer Umgebung. Auf äußerst vergnügliche Weise, dabei spitzzüngig bis zynisch, beschreibt Bovenschen, wie die Damenriege noch einmal echt ausflippt. Sie dreschen auf den Kristalllüster ein, zerdeppern das teure Teegeschirr, treten die Bodenvasen um und reißen die Vorhänge samt Messingstangen herunter. Als sie schließlich erschöpft auf die Stühle sinken, da – »ertönte die Klingel«. Jan, der Erzähler, lässt nun seine Geschichte buchstäblich fabelhaft enden. Von Proust bis zur griechischen Mythologie, Schwan und großer Hund inklusive, wird Bedeutung aufgeladen. Seine Freundin moniert: »Stopp! Stopp! (…) du hast dich total verrannt mit diesem Märchenkram.« Seinen Hinweis, er wolle doch nur die Trivialität des Endes aufheben, stoppt sie mit dem Satz: »Nun mach mal einen Punkt«. Ein starker Abgang.

Sigrid Lüdke-Haertel
Silvia Bovenschen: »Nur Mut«. Roman,
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2013, 159 S., 16,99 €

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