Shit happens – und du? (65)

Nun haben wir den Salat! Dank der intensiven Recherche des großen deutschen Bildungsblattes wurde im Wahlprogramm der Grünen der Skandal publik. Verborgen in über 300 (!) Seiten grüner (Um-)Gestaltungsvorstellungen machte die Bildzeitung den Skandal aus, auf den dann wie die Lemminge der Rest der Publizistikwelt draufsprang: Zwangsernährung durch die grünen Ökoterroristen! Gut, es war Sommerloch, Wahlkampfthemen wollten nicht so recht zünden, und jeden Tag neue Enthüllungen über die Schlapphüte dieser Welt ließen weder Auflage noch Einschaltquote merklich steigen. Da kam jene auf Seite 164 unten verborgene unscheinbare Aussage, ein »Veggie Day« solle Standard in öffentlichen Kantinen werden, gerade recht. Unsere individuelle Freiheit wurde mit dieser einen grünen Forderung (oder wars doch nur ein Vorschlag?) auf den demokratischen Prüfstand gestellt. Und wer anders als die freiheitsliebenden Freidemokraten erkannten es am deutlichsten: in einem grün regierten Staat werden zukünftig alle Menschen gezwungen werden, sich ausschließlich von Salatblättern zu ernähren – so wie jetzt schon im grün-roten Baden-Württemberg.

 

Dort gibt es ja nur noch verhärmte Menschen, die heimlich über die Landesgrenze nach Hessen fahren, um sich den Bauch mal so richtig mit einem Mac- oder Kingburger voll zu schlagen, oder rüber ins bajuwarische an die Weißwurstfront. Es mag ja sein, dass zuviel Fleischkonsum gar nicht so gesund ist. Es mag ja sein, das die Fastfood-Fleischklopse eine gerüttelt Maß an Suchtpotential in sich bergen. Aber, so das Credo des (noch) freiheitlichen Teils der deutschen Öffentlichkeit, jeder soll selbst entscheiden können, was er oder sie in sich reinstopft oder –pumpt. Zwar hatte das ganze nichts mehr mit dem Wortlaut des Wahlprogramms zu tun, vor allem, weil die Aussage im Abschnitt »Massentierhaltung« zu finden war und mitnichten im Abschnitt »Zwangsbeglückung«, aber die individuelle Freiheit zu verteidigen auch da, wo sie gar nicht in Gefahr ist, macht sich halt so gut.

 

Wie eine vortreffliche Zwangsbeglückung aussehen kann, hat der freiheitliche hessische Verkehrsminister gezeigt: vor jedem Stadtpolizisten, der Parksünder aufschreibt, wird jetzt ein Warnschild aufgestellt »Hier Parkkontrolle – bitte Auto schnell wegfahren«. Eine App zur Warnunterstützung wurde auch schon in Auftrag gegeben. Hoffentlich wird die nicht genauso verboten wie die Blitzerwarner, für deren Befreiung der Minister ja auch schon, allerdings vergeblich, gekämpft hat. Ja, ich weiß, es geht in Wirklichkeit auch nur um diese Radarkontrollen, die Herr Rensch als Bevormundung des freiheitsliebenden deutschen Autofahrers erkannt hat. Aber da eröffnen sich doch noch viele Spielräume, uns vom Ballast staatlicher Vorschriftshuberei zu befreien. Allerdings, und diese Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen, die Wegelagerei an der B 252, allen voran in der Gemeinde Wetter, hat schon was von modernem Raubrittertum. Die Dichte an Blitzern und verwirrenden Verkehrsschildern ist wohl einmalig in der Republik. Und es sind natürlich die Fremden, die in die Fallen (ja, dort sind es Fallen) tappen, die mittelhessischen Eingeborenen wissen, wo sie auf die Bremse drücken müssen. Doch anstatt hier für vernünftige Verkehrsführung zu sorgen, will der hessische Autominister noch ein Schild mehr aufstellen. Autofahren wird zur Lesestunde, da kann man dann schon mal den Tacho übersehen.

 

Ach ja, wenn es denn allenthalben um die Freiheit geht, die Freiheit zu rasen, bis der Blitzer kommt, und die Freiheit in sich reinzufüllen, wonach einem grad der Sinn steht, dann sollte man sich auch endlich mal ein Beispiel an Uruguay, an den US-Bundesstaaten Colorado und Washington nehmen. Dort nun darf jeder selbst entscheiden, ob er oder sie kiffen will oder nicht. Und das haben wir nun wirklich gern.

 

Jochen Vielhauer – Und du?

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